Schlupfloch europäische Krankenversicherung

Für Menschen, die weder bei privaten Krankenversicherern noch bei gesetzlichen Kassen eine Police bekommen, können europäische Anbieter eine Alternative sein. Auch Strafzahlungen lassen sich so umgehen. Der Wechsel zu einem sogenannten EWR-Dienstleister ist aber nicht für jeden Verbraucher sinnvoll.

Weil der selbstständige Sanitärinstallateur mit den Beiträgen für die private Krankenversicherung zwei Monate in Verzug geraten war, kündigte sein Anbieter ihm 2008. Zum 1. Januar 2009 trat zwar die allgemeine Versicherungspflicht in Kraft. Doch da der Installateur die Beiträge immer noch nicht aufbringen konnte, verpasste er die Frist, in der ihn sein Versicherer wieder aufgenommen hätte. Im Jahr 2012 hatte er eine Anstellung gefunden und die finanzielle Schieflage lag hinter ihm, aber sowohl die gesetzlichen Kassen als auch die privaten Versicherungsunternehmen lehnten ihn ab. Die einen, weil dem 58-jährigen für eine gesetzliche Pflichtversicherung die nötigen Vorversicherungszeiten fehlten. Die anderen, weil ihnen das finanzielle Risiko zu groß war. Schließlich war schon einmal ein privater Krankenversicherer auf den unbezahlten Beitragsrechnungen des Installateurs sitzen geblieben. Inzwischen hat der 58-Jährige wieder Krankenversicherungsschutz – in Form einer europäischen Krankenversicherung.

„Das Rätselhafte für mich ist, dass mich kein privater Versicherer haben wollte, obwohl ich vor meinen Zahlungsproblemen 13, 14 Jahre lange Beiträge gezahlt hatte – ohne während dieser Zeit auch nur ein einziges Mal Versicherungsleistungen in Anspruch genommen zu haben”, berichtet er.

Trotz Versicherungspflicht hat immer noch nicht jeder Deutsche Krankenversicherungsschutz. Zwar dürfen private Versicherer und gesetzliche Kassen seit 2009 niemanden mehr rauswerfen, weil er die Beiträge nicht mehr bezahlt. Wer aber vor dem „Kündigungsschutz“ aus der Versicherung fiel, kommt oft nicht mehr ins System.

Denn aufnehmen müssen die privaten Krankenversicherer (PKV) niemanden – und das gesetzliche System fühlt sich nicht für jeden zuständig. Ehemals privatversicherte Angestellte über 55 zum Beispiel werden nicht mehr automatisch versicherungspflichtig, wenn ihr Gehalt unter die Versicherungspflichtgrenze fällt. Waren sie in den letzten fünf Jahren nicht für mindestens einen Tag gesetzlich versichert, bleibt ihnen dieser Weg verschlossen.

Dazu kommt: Selbst wenn Unversicherte die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, werden für die Zeit ohne Versicherungsschutz im gesetzlichen und im privaten System hohe Nachzahlungen fällig.

In solchen Fällen können europäische Krankenversicherungen ein Ausweg sein, sagt Patrick Ott vom Makler Neue Krankenversicherung (Neue KV). Er vermittelt Policen der englischen Tochter des US-Versicherers Aetna, der irischen Axa PPP und der französischen Europ Assistance Group, die zur Generali gehört. Anders als private Krankenversicherer aus Deutschland behalten sich die Anbieter aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vor, säumigen Beitragszahlern zu kündigen. Dafür verzichten sie auf die Nachzahlung von Beiträgen für die Zeit ohne Versicherungsschutz.

„Europäische Krankenversicherungen funktionieren wie private deutsche Krankenversicherungen“, sagt Ott. Im Krankheitsfall gehen Versicherte als Selbstzahler in Vorleistung, mit Krankenhäusern ist aber auch eine Direktabrechnung möglich.

Ott sieht drei Zielgruppen für die Tarife. Zum einen die 137.000 Personen in Deutschland, die nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts im August 2012 trotz allgemeiner Versicherungspflicht unversichert waren. Zum anderen die rund 145.000 Privatversicherten, die nach Schätzungen des PKV-Verbands in Beitragsrückstand geraten sind. Rund 30.000 von ihnen sind demnach bereits zwangsweise in den Basistarif umgebucht worden. Der Beitrag in diesem Tarif ist sehr hoch, er orientiert sich am Höchstsatz der gesetzlichen Krankenversicherung von derzeit 610 Euro. Darüber hinaus hält Ott die europäische Krankenversicherung für Menschen für interessant, deren gesetzlicher Versicherungsschutz wegen offener Rechnungen auf das Minimum abgesenkt wurde. Allein bei der Barmer GEK sind das 52.000 Versicherte. Diese Gruppe ist zusätzlich von jährlichen Strafzahlungen in Höhe von 60 Prozent der offenen Beiträge betroffen.

„Nach unserer Auffassung ist es nach drei Jahren bei einem EWR-Dienstleister möglich, in die PKV und die GKV zu wechseln, ohne dass überfällige Beiträge nachgezahlt werden müssen“, sagt Ott. Nach diesem Zeitraum seien die Ansprüche der Versicherer verjährt.

Private Versicherer versuchen nach Otts Erfahrung allerdings, den Versicherten beim Wechsel Steine in den Weg zu legen. So müssen Krankenversicherte seit der Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht Anfang 2009 nachweisen, dass sie eine neue Police haben, bevor sie kündigen können. Die privaten Versicherer wollten die europäischen Versicherungen von EWR-Anbietern in vielen Fällen nicht als Folgeversicherung anerkennen, berichtet Ott. Zu Unrecht, heißt es bei der Finanzaufsichtsbehörde BaFin. „Die privaten Krankenversicherer müssen einen EWR-Vertrag auch als Nachversicherungsnachweis akzeptieren”, bestätigte eine BaFin-Sprecherin.

Die Policen eignen sich aber nicht für jeden Verbraucher. Anders als ihre deutschen Pendants sind europäische Krankenversicherungen ohne Alterungsrückstellungen kalkuliert. Das führt dazu, dass die Beiträge im Alter deutlich stärker ansteigen. „Für 30-Jährige sind die Preisvorteile gegenüber der PKV deutlich, für 65-Jährige kann sich das Bild umkehren“, sagt Ott.

Auch für chronisch Kranke wie Diabetiker sei die Versicherungsform keine gute Wahl, da die Policen zunächst weder für die entsprechende Krankheit leisten, noch für Folgeerkrankungen. Bei Vorerkrankungen übernehmen die EWR-Dienstleister erst nach einer gewissen Zeit wieder die Kosten. „Die Policen kommen für zwei Jahre nicht für schwere Erkrankungen wie Herzinfarkt auf, wenn der Versicherungsnehmer bis zu fünf Jahre vor Vertragsabschluss daran erkrankt war“, sagt er.

Diese Moratoriumsregelung kann in anderen Fällen aber auch Vorteile bringen. Sie kommt zum Beispiel Verbrauchern zugute, die schon einmal eine Psychotherapie gemacht haben. „Die PKV lehnt Betroffene über die Gesundheitsprüfung von vornherein ab, die EWR-Anbieter helfen zwei Jahre nicht, danach ist ihnen die Krankheitsgeschichte egal“, sagt Ott.

Neue KV hat seit Geschäftsbeginn Anfang September 2012 nach eigenen Angaben 100 bis 150 Personen bei EWR-Anbietern untergebracht. Für die Zukunft ist Ott zuversichtlich: „Bis Sommer 2013 wollen wir zwischen 30.000 und 40.000 Personen versichern“, sagt er.

Zum Thema ist inzwischen ein neuerer Text auf Versicherungsmonitor.de erschienen: Europäische Krankenversicherung gestoppt

Quelle: Capital.de

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