Trotz fehlender gesetzlicher Grundlage für geschlechtsneutrale Tarife und möglicher Preisänderungen in den kommenden Monaten sollten Kunden nicht mit dem Kauf einer dringend benötigten Police warten.
Eine gesetzliche Grundlage für die geschlechtsneutral kalkulierten Versicherungstarife rückt in greifbare Nähe: Der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag wird am 29. Januar über das Sepa-Begleitgesetz beraten, das auch Regeln zu den sogenannten Unisex-Tarifen enthält. Kommt es zu einer Einigung, können Bundesrat und Bundestag den Änderungen noch in derselben Woche zustimmen, so dass das Gesetz am 1. Februar in Kraft treten würde.
Weil Frauen und Männer unterschiedliche Lebenserwartungen und Sterbewahrscheinlichkeiten haben, berechneten Versicherer ihnen bisher auch unterschiedlich hohe Prämien. So mussten Frauen bisher in eine Rentenpolice mehr einzahlen als Männer, um auf die gleiche Monatsrente zu kommen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht in dieser Praxis einen Verstoß gegen den Gedanken der Gleichstellung von Mann und Frau – und verordnete den Versicherer geschlechtsneutrale Tarife.
Der Bundestag hatte dem entsprechenden Gesetz schon im November zugestimmt, doch der Bundesrat bremste es aus – nicht wegen Unisex, sondern wegen der darin ebenfalls enthaltenen kontroversen Regeln zur künftigen Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven der Lebensversicherer.
Das hat zu einer merkwürdigen Situation geführt: Seit dem 21. Dezember vergangenen Jahres darf es nach europäischem Recht nur noch Unisex-Tarife geben, nach deutschem Recht sind geschlechtsspezifische Bisex-Tarife aber noch erlaubt.
„Es besteht eine große Verwirrung“, sagt Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten. Verbraucher, die jetzt eine Police benötigen, sollten sich schriftlich bestätigen lassen, ob es sich um einen Unisex- oder einen alten Bisex-Tarif handelt, um möglichen späteren Streitigkeiten vorzubeugen. „Kein Kunde kann sich zu 100 Prozent sicher sein, dass er einen Unisex-Tarif erhält“, sagt Kleinlein.
Wer dringenden Absicherungsbedarf hat, sollte nicht mit dem Abschluss warten, nur weil die gesetzliche Grundlage noch nicht vorhanden ist, rät Elke Weidenbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Die Regelung muss nach der Rechtssprechung des EuGH kommen“, sagt sie. Die Versicherer hätten ihre Tarifstrukturen bereits auf Unisex umgestellt. „Wenn sie die Tarife so anbieten, müssen sie sich auch an die Verträge halten“, sagt sie.
Nach ersten Untersuchungen des Analysehauses Morgen & Morgen haben sich die erwarteten Preistrends bei den Unisex-Tarifen weitgehend bestätigt. Es gab aber auch einige Überraschungen. So bekommen Frauen zwar wie erwartet bei Rentenpolicen für den gleichen Beitrag mehr Rente als früher, Männer dagegen weniger. In der privaten Krankenversicherung sind dagegen die erhofften Prämiensenkungen für Frauen ausgeblieben. Stattdessen sind die Beiträge für beide Geschlechter gestiegen. Hier spielen allerdings auch die Senkung des Rechnungszins auf 2,75 Prozent und eine Ausweitung der Leistungen eine Rolle.
Es ist zwar zu erwarten, dass sich die Preise in den nächsten Monaten noch ändern. Auch bei der Umstellung der Riester-Rente auf die geschlechtsneutrale Kalkulation im Jahr 2006 hatten die Anbieter noch nachgebessert, wenn sie in Rankings schlecht abschnitten. Doch auch das sollte kein Grund sein, den Abschluss zu verschieben. „Niemand sollte wegen einer Ersparnis von 5,50 Euro etwa den Kauf einer dringend benötigten Risikolebensversicherung aufschieben“, sagt Verbraucherschützerin Weidenbach. „Denn in der Zwischenzeit kann der Versicherungsfall eintreten.“
Besser sei es, den Anbieter später um eine Umstellung zu bitten, wenn sich die Preise für neue Verträge wirklich noch stark ändern sollten. Darauf wird sich aber nicht jeder Anbieter einlassen. Bei privaten Krankenpolicen hat der Versicherer allerdings keine andere Wahl. Hier haben die Kunden ein Recht darauf, in einen vergleichbaren Tarif zu wechseln.
„Es bringt nichts, ein halbes Jahr zu warten und zu hoffen, dass alles günstiger wird“, sagt auch Joachim Geiberger, Inhaber und Geschäftsführer von Morgen & Morgen. Die Preise in den meisten Sparten werden sich nach seiner Einschätzung nur geringfügig ändern, etwa dann, wenn ein Versicherer merkt, dass er mit zu hohen oder zu niedrigen Sicherheitspuffern bei den Annahmen zum Geschlechtermix im Bestand kalkuliert hat. „Das werden aber keine dramatischen Veränderungen sein“, glaubt er.
Eine Ausnahme ist die Berufsunfähigkeitsversicherung. Hier gibt es bisher keine klaren Tendenzen. Eigentlich hätte es durch die Unisex-Umstellung für das risikoreichere Geschlecht, in vielen Berufen der Mann, günstiger werden müssen. Teilweise ist aber das Gegenteil der Fall. So zahlen Kfz-Mechatroniker für eine Berufsunfähigkeitsrente rund drei Euro mehr im Monat, während sie für weibliche Mechatroniker acht Euro günstiger wird. Für Bürokauffrauen und -männer sinkt der Beitrag um 12 Euro beziehungsweise zwei Euro. „Hier wird es noch viel Bewegung geben“, sagt Geiberger.
In der Berufsunfähigkeitsversicherung tobt schon seit Jahren ein erbitterter Preiskampf um die guten Risiken. Das sind junge Akademiker, die körperlich nicht schwer arbeiten. Um diesen Personen bessere Preise bieten zu können, haben die Versicherer immer feiner gegliederte Berufsgruppen eingeführt. Die Kehrseite: Während die Policen für die guten Risiken immer billiger werden, werden sie für risikobehaftete Berufe wie Maurer oder Dachdecker immer teurer. „Dieser Trend setzt sich auch bei Unisex fort“, sagt Geiberger. „Die Branche muss aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannt.“
Quelle: Capital.de
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