Herbert Frommes Kolumne Der chinesische Finanzdienstleister Ant Financial hat in sieben Monaten 65 Millionen Kunden für eine neue, digitale Dread Disease-Police gewonnen. Ant Financial gehört zu Alibaba und verkauft über die Plattform des Einzelhandelsriesen. So schnell so groß zu werden, das wäre aus verschiedenen Gründen in Europa kaum möglich. Aber die Erfolgsgeschichte von Xian Hu Bao enthält trotzdem wertvolle Lektionen für hiesige Versicherer. Dazu gehört, dass sie viel zu wenig in den ernsthaften Ausbau der künstlichen Intelligenz investieren.
Wie viele Mitarbeiter braucht ein digitaler Versicherer in China, um in sieben Monaten 65 Millionen Kunden zu gewinnen? Die Antwort hat gerade Jack Ma geliefert, Gründer des chinesischen Amazon-Rivalen Alibaba und Chef der Finanzgruppe Ant Financial. Er benötigt dafür genau 50 Leute.
Im vergangenen Oktober kam Ant Financial mit dem Angebot Xian Hu Bao auf den Markt. Das heißt so viel wie „gegenseitige Hilfe“ oder „reich eine helfende Hand“ und ist im Kern eine Art Dread Disease-Police. Die Beiträge sind niedrig, der Abschluss ist nur online möglich und sehr einfach: Man braucht nur vier Klicks.
Wer eine schwere Krankheit wie Krebs hat, erhält eine Einmalzahlung von bis zu 300.000 Yuan (39.000 Euro), wenn er unter 40 ist, und 100.000 Yuan, wenn er älter ist. Kunden über 59 Jahre sind nicht versicherbar.
Ant Financial hat das Angebot zusammen mit dem chinesischen Lebensversicherer Trust Mutual Life entwickelt und vertreibt es über die Alibaba-Plattform. Das Ziel: Bis Oktober 2021 sollen 300 Millionen Kunden die Verträge abgeschlossen haben.
Zugegeben: Das ist in der Form nur in einem Markt wie China möglich, der schnell wächst, eine digital-affine Bevölkerung hat und wegen des mangelhaften Gesundheitswesens einen hohen Bedarf nach Zusatzdeckungen hat.
Der Vorgang enthält trotzdem wertvolle Lektionen. Erstens: Eine Einzelhandelsplattform wie Alibaba kann auch beim Vertrieb von Finanzangeboten wie Xian Hu Bao sehr effektiv sein. Das sollten alle bedenken, die Amazon nicht zutrauen, im Versicherungsmarkt eine wichtige Rolle zu spielen.
Angebote müssen unglaublich einfach sein.
Zweitens: Ein solches Angebot muss unglaublich einfach sein. Die vier Klicks sind ein echtes Vorbild. Und drittens: Beides, der intensive Online-Vertrieb und der einfache Abschluss, sind nur mit Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) erfolgreich. Die setzt Ant Financial bei der Personenerkennung ein, aber auch in der Schadenbearbeitung. Die Systeme können die Abrechnungen von mehr als 10.000 Krankenhäusern in China verifizieren und haben schon jetzt eine zweistellige Millionenanzahl an Abrechnungen analysiert, um immer genauer zu werden in der Risikoeinschätzung und der Schadenbearbeitung.
Langsam tastet sich auch die deutsche Versicherungswirtschaft an die Nutzung von Big Data heran. Ganz vorsichtig werden Techniken der KI benutzt, um Daten zu verknüpfen und neue Erkenntnisse für Underwriting, Kundenservice und Schadenbearbeitung zu gewinnen. Vielleicht sind es auch nur Verfahren, die von ihren Entwicklern KI genannt werden, aber mit wirklicher KI erst wenig gemein haben. Die Kosten sind hoch, der unmittelbare zählbare Effekt ist klein.
Das ist bei einer ganz neuen Technik auch nicht anders zu erwarten. Schließlich ist sie dabei, in vielen Jahrzehnten aufgebaute Ansichten und Arbeitsweisen einer ganzen Branche wegzufegen. Der frühere Axa-Chef Henri de Castries verglich vor vier Jahren die Bemühungen der Versicherer, mit Big Data umzugehen, mit dem Versuch, eine komplexe Armbanduhr mit der Axt zu reparieren.
Inzwischen hat sich einiges getan. Das haben zahlreiche Gesprächspartner aus der Branche, Berater und andere Experte meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion des Versicherungsmonitors bestätigt, die in den vergangenen Wochen intensiv über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Branche recherchiert haben. Die Ergebnisse sind sehr spannend. Sie können sie in unserem jüngsten Dossier zu dem Thema nachlesen, das Sie als Premium-Abonnent in den kommenden Tagen per Post erhalten. Ausgewählte Beiträge werden wir in einem Online-Schwerpunkt zusammenstellen.
China hat fünf Jahre Vorsprung
Ein Ergebnis: Die Asiaten haben einen Vorsprung von etwa fünf Jahren beim Einsatz von KI. Das glaubt jedenfalls Michael Zobel vom Düsseldorfer Berater Alter Solutions. Man könnte glauben, dass die deutschen Versicherer jetzt Gas geben und viel Geld in die Hand nehmen, um diese Technik der Zukunft beherrschen zu lernen.
Das ist leider nicht der Fall. Stattdessen begnügen sich die meisten mit Testfeldern, digitalisieren einzelne Schritte wie den Schriftguteingang und nutzen Experten bei der Schadenanalyse. Von weitreichender Nutzung von KI-Techniken in der Datenanalyse und damit im Underwriting sind die meisten weit entfernt.
Aber keine Sorge: Auch in Deutschland werden wir bald die neuen Techniken live und in Farbe bewundern können. Dafür sorgen die Chinesen dann selbst. Das neue Vergleichsportal, das Finleap mit Unterstützung von Ping An aufbaut, wird einen Vorgeschmack liefern. Die Gründung eigener Versicherer oder der Kauf bestehender Gesellschaften ist dann nur noch einen Schritt entfernt.
Herbert Fromme
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Der chinesische Vorsprung kann verringert werden, indem europäische und deutsche Versicherer sich zu einer Ethik im Umgang mit den Daten verpflichten, die sie für ihre KI-Anwendungen benötigen und verwenden. Auf Dauer werden Verbraucher nicht bereit sein, intransparente Privilegierungen/Diskriminierungen durch Algorithmen zu akzeptieren. Es bietet sich hier eine (seltene) Gelegenheit für die VU, über eine Art neue CSR-Dimension („Datenethik“) nachhaltig Vertrauen zu gewinnen.