In New York beginnen die Versicherer mit den Auszahlungen an die Geschädigten der Terrorangriffe vom 11. September – Hilfe zum Lebensunterhalt für Menschen, deren Wohnungen zerstört sind, erste Abschlagszahlungen an Unternehmen bei Betriebsunterbrechungspolicen. Die Betrugsspezialisten der Versicherer sind schon unterwegs. Wie nach jeder Katastrophe erwartet die Branche auch diesmal eine Reihe von Trittbrettfahrern.
Noch immer gibt es keine verlässliche Schätzung für den Gesamtschaden. Aber über das Abarbeiten der finanziellen Konsequenzen des grausamen Geschehens hinaus machen sich weltweit Versicherungsmanager Gedanken über die Lage ihrer Branche. Klar ist: Sie wird sich noch dramatischer ändern, als sie es vor einigen Monaten schon erwarteten.
Vieles spricht dafür, dass der versicherte Schaden deutlich über den oft genannten 25 bis 30 Mrd. $ liegen wird. Einzelne Unternehmen wie Berkshire Hathaway sprechen von bis zu 70 Mrd. $. Die Unternehmensberater Tillinghast Towers Perrin schätzen den Schaden auf zwischen 30 Mrd. $ und 58 Mrd. $. Vor allem bei Haftpflicht-und Betriebsunterbrechungsschäden sei man auf Spekulationen angewiesen. Bisher haben rund 60 Versicherer ihre Schadenzahlen bekannt gegeben, zusammen kommen sie auf 20 Mrd. $. Aber auch hier gilt, dass bei großen Katastrophen – und dies ist die bislang größte der Branche – die Zahlen mit der Zeit nach oben gehen. Der größte Einzelschaden, den die Versicherer bisher hinnehmen mussten, war Hurrikan Andrew im Jahr 1992, der nach heutigen Preisen 19,7 Mrd. $ kostete. Teurer als das World Trade Center waren bisher nur die Asbest-Schäden in den USA, die allerdings über mehrere Jahrzehnte gezahlt wurden. Sie kosteten geschätzte 117 Mrd. $ bis 127 Mrd. $.
Der Londoner Versicherungsmarkt Lloyd’s wird mit Sicherheit zu den großen Verlierern der Ereignisse gehören. Er wird seine Struktur deutlich ändern müssen, die persönlich haftenden Mitglieder oder „Names“, die ohnehin nur noch 20 Prozent der Versicherungskapazität bei Lloyd’s aufbringen, werden weiter zurückgedrängt. Auch einige US-Erstversicherer sowie kleinere und mittlere Rückversicherer kommen unter Druck. Die Analysten von Morgan Stanley erwarten, dass „große Bereiche des Rückversicherungsmarktes insolvent werden“.
Das komplizierte weltweite Geflecht zwischen Erst-und Rückversicherern und Rückversicherern untereinander wird auf eine Probe gestellt. „Es wird Insolvenzen geben“, glauben auch Tillinghast Towers Perrin. „Nicht alle Versicherer und Rückversicherer können zahlen.“ Versicherer, die sich abgesichert wähnten durch ihre Rückdeckungen, könnten ein böses Erwachen erleben. Für Rückversicherer gilt dasselbe, auch sie geben große Teile der Risiken weiter – und sind nicht sicher, dass ihre Partner zahlungsfähig bleiben.
Das wird dramatische Änderungen im Marktgefüge zur Folge haben. Die vielbeschworene „flight to quality“, die Flucht in die Qualität, wird zur Realität. Versicherer mit schlechteren Finanz-Ratings werden von Maklern und Versicherungseinkäufern der Großunternehmen gemieden. Kapitalstarke Unternehmen wie American International, Berkshire Hathaway, GE Frankona (GE Capital), Münchener Rück, Swiss Re oder Allianz gewinnen.
Für Luftfahrt-, Industrie-und Gewerbeversicherungen stehen massive Preiserhöhungen an. Für die Industriekonzerne ist das Problem nicht nur der Preis, sondern die Frage, ob sie überhaupt Deckung finden. Die großen Versicherer warten ab – die Allianz zeichnet bis Mitte November kein neues Industriegeschäft. Unternehmen mit hohem Schutzbedarf, zum Beispiel die Chemie-und Pharmabranche, haben besondere Schwierigkeiten. Der Versicherungsnotstand der Luftfahrtversicherung rief sogar die Regierungen auf den Plan. Wahrscheinlich bleiben staatlich gestützte Pool-Lösungen für Terrorismus-Schäden langfristig nötig.
Die hohen Preise und die knappe Kapazität schaffen aber auch Raum für Neugründungen. Am Freitag, nur siebzehn Tage nach der Katastrophe, gab der weltgrößte Versicherungsmakler Marsh & McLennan die Gründung einer neuen Erst-und Rückversicherung bekannt. Axis Specialty mit Sitz auf den Bermudas wird mit 1 Mrd. $ Kapital ausgestattet. Am selben Tag hielt Marsh & McLennan einen Gedenkgottesdienst für 292 Mitarbeiter, die in den Türmen starben.
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Quelle: Financial Times Deutschland
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