Von Herbert Fromme, Köln Die Versicherungswirtschaft darf sich freuen. Die Bundesregierung will das Handelsgesetzbuch ändern und so die Versicherer von der Verpflichtung befreien, Verluste auf Wertpapiere im Anfalljahr voll abzuschreiben. Künftig müssen sie, wie die Banken auch, nur bei länger anhaltenden Kursverlusten Abschreibungen vornehmen. Mit der geplanten Änderung nimmt Berlin den Druck von der Branche, in großem Stil Aktien zu verkaufen, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.
Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin plant, den Gesetzentwurf schon am Mittwoch im Kabinett einzubringen. Die Neuregelung soll rückwirkend ab dem Bilanzstichtag 30. September 2001 gelten. Die Versicherer mussten dafür auch einen kleinen Preis zahlen: Erstens hat sich die Branche verpflichtet, die zumindest unmittelbar auftretenden positiven Effekte der neuen Regelung an die Kunden weiterzugeben. Zweitens hat das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen künftig erweiterte Kontrollmöglichkeiten.
Bisher gilt für die Versicherungswirtschaft eine Sonderregel im Paragraf 341b des Handelsgesetzbuches, die die Branche in Zeiten steigender Kurse immer verteidigt hat, die ihr in der gegenwärtigen Marktsituation aber ein erhebliches Problem beschert. Wegen der Kursverluste hätten die Versicherer 2001 einen hohen Abschreibungsbedarf auf Aktien, deren Marktpreis unter den Einstandspreis gefallen ist. Der Verlust wirkt sich für die Gesellschaften in einem niedrigeren Kapitalertrag, reduzierten Gewinnbeteiligungen für die Kunden und einer schlechteren Wettbewerbsposition aus. Gleichzeitig kann das Unternehmen den Verlust aus Aktien aber nicht steuerlich geltend machen – seit der von Oskar Lafontaine 1999 durchgesetzten Steuerreform fallen Handelsbilanz und Steuerbilanz auseinander. Folge: Die Versicherer müssen Aktien, die unter Einstandspreis notieren, verkaufen und die Verluste realisieren, um sie gegenüber dem Finanzamt geltend zu machen. Selbst wenn sie in großem Stil Papiere zurückkaufen, hätte das negative Wirkungen für die Aktienmärkte.
Die Gesetzesänderung ist nicht unumstritten. Versicherungsökonom Walter Karten warnt davor, dass sie zur Verschleierung von Verlusten führt. „Die Lebensversicherer müssen ihre Kunden stattdessen daran gewöhnen, dass ihre Gewinnbeteiligungen mit den Kapitalmärkten schwanken“, sagte Karten der Financial Times Deutschland. „Es ist nicht sinnvoll, den Kunden höhere Gewinnbeteiligungen als tatsächlich erwirtschaftet zuzuweisen und dafür stille Verluste hinzunehmen“, sagte Karten. Er sieht die steuerlichen Probleme der Branche wohl. „Die müssen aber im Steuerrecht gelöst werden.“
Carsten Zielke, Chefanalyst der Versicherungsabteilung bei der WestLB Panmure, erwartet eine höhere latente Konkursgefahr bei Lebensversicherern. „Ich halte den Gesetzentwurf für sehr gefährlich, weil Risiken in die Zukunft geschrieben werden“, sagte Zielke. „Das beruht alles auf der Grundannahme, dass die Aktienmärkte in die Höhe gehen.“ Sollte das nicht der Fall sein, werde es bald ein gefährliches Missverhältnis zwischen Verpflichtungen der Unternehmen und ihren tatsächlichen Vermögen geben.
Marktplatz Seite 22.
Quelle: Financial Times Deutschland
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