Hängt die Rente der Mitarbeiter vom Wohl des eigenen Unternehmens ab, kann es Probleme geben – nicht nur bei Enron
Von Herbert Fromme und Claudia Wanner Am 16. Oktober gab der US-Energiekonzern Enron Einzelheiten der komplizierten Deals bekannt, mit denen er hohe Verluste aus seiner Bilanz herausgehalten hatte. Die Aktienmärkte reagierten heftig darauf – die Aktie, die in der Spitze einmal 90 $ wert war, fiel von 32,20 $ am 17. Oktober auf weniger als 1 $ Ende November.
Zu den wichtigen Investoren bei Enron gehörten die eigenen Mitarbeiter. Sie hatten rund 60 Prozent ihrer betrieblichen Altersvorsorge in Enron-Aktien angelegt – als (nach der entsprechenden Steuervorschrift benannte) 401-K-Pläne.
Als die Kurse fielen, wollten Enron-Mitarbeiter und Rentner Aktien verkaufen, durften das aber nicht. Das Unternehmen hatte die Aktienkonten unter „401 K“ für Verkäufe gesperrt. Viele verloren fast ihr gesamtes Vermögen: Charles Prestwood aus Conroe in Texas verlor 1,3 Mio. $ an Ersparnissen, Janice Farmer aus Orlando rund 700 000 $.
Das Enron-Debakel hat in den USA eine heftige Debatte über die betriebliche Altersvorsorge ausgelöst. Auch in anderen Ländern müssen Konsequenzen gezogen werden.
Mit 401 K hat die US-Wirtschaft ihr Betriebsrentensystem Anfang der 80er Jahre grundlegend umgestellt. Bis dahin galten vor allem so genannte Defined-Benefits-Systeme, unter denen Mitarbeiter eine bestimmte Betriebsrenten-Zusage für das Alter erhielten. Das Kapitalmarkt-Risiko liegt bei solchen leistungsorientierten Systemen beim Arbeitgeber.
401 K arbeitet nach Defined Contributions (zugesagten Beiträgen). Der Arbeitgeber zahlt einen Beitrag zur Altersvorsorge. Was mit dem vom Mitarbeiter und Unternehmer aufgebrachten Kapital passiert, liegt bei beitragsorientierter Altersvorsorge im Risiko des Mitarbeiters.
Die neue betriebliche Altersvorsorge in Deutschland bedeutet ebenfalls die Umstellung von Defined Benefits auf Defined Contributions – mit dem wesentlichen Unterschied, dass Pensionskassen und Pensionsfonds nicht im selben Ausmaß wie in den USA im eigenen Unternehmen Rentengelder anlegen dürfen. Aber auch hier gilt: Das Risiko der Kapitalanlage trägt künftig der Arbeitnehmer. Anders ist das bei der so genannten Direktzusage durch die Unternehmen, bisher die wichtigste Form der betrieblichen Altersvorsorge. Dabei verpflichtet sich der Betrieb, dem Mitarbeiter bei Erreichen des Rentenalters, aber auch bei Invalidität, eine Rente zu zahlen, im Todesfall an die Hinterbliebenen. Hier droht aber ebenfalls ein gigantisches Problem, das bisher weitgehend unterschätzt wird.
„Die Pensionsrückstellungen der deutschen Unternehmen belaufen sich auf rund 250 Mrd. Euro“, erläutert Carsten Zielke, Chefanalyst Versicherungen bei der West LB. „Davon sind aber nur 50 Prozent in der einen oder anderen Form kapitalgedeckt.“ Die andere Hälfte von 125 Mrd. Euro wurde von den Unternehmen in den eigenen Betrieben investiert. Genau da sieht Zielke die Probleme.
Um für die späteren Rentenzahlungen gewappnet zu sein, muss das Unternehmen Pensionsrückstellungen bilden. Das gibt ihm den Vorteil zusätzlicher liquider Mittel. Eigentlich handele es sich um ein Umlageverfahren, argumentiert Zielke. „Die aktuell Beschäftigten müssen die Rente der früher Beschäftigten erwirtschaften.“ Hier werde die Wirtschaft über kurz oder lang dieselben demographischen Probleme erleben wie die Gesellschaft bei der gesetzlichen Rentenversicherung.
Auch Michael Freisberg, Partner der Managementberatung Tillinghast Towers Perrin, sieht Probleme bei der Finanzierung des eigenen Unternehmens durch Pensionsrückstellungen.
In der Auszahlungsphase „fehlt es an Liquidität, um das Pensionsversprechen einzulösen“, so Freisberg. Auch sind die Rückstellungen oft viel zu niedrig. Denn bei der Höhe der Rückstellung ließen sich die Firmen in der Vergangenheit eher von den Regeln des Einkommensteuergesetzes leiten als von den versicherungsmathematisch berechenbaren Notwendigkeiten wie Lebenserwartung, Invaliditätsrisiko oder Einkommensentwicklung.
Das Problem wird schon dann virulent, wenn ein Unternehmen vom deutschen Handelsgesetzbuch auf die Bilanzierung nach internationalen Rechnungslegungsstandards umstellt. Denn dann muss es möglichst realistische Annahmen über die Höhe der Zahlungsverpflichtungen vorlegen. Beispiel Schering: Als das Unternehmen 1994 auf die International Accounting Standards (IAS) umstellte, entstand ein außerordentlicher Aufwand von 125 Mio. DM, eine Steigerung der Pensionsrückstellungen um acht Prozent.
Große Unternehmen erkennen inzwischen die Probleme – sogar im staatlichen Bereich. So hat der LBK Hamburg, größter Krankenhausbetreiber der Republik, seine Betriebsrenten für neue Mitarbeiter über einen Vertrag mit der Volksfürsorge privatisiert. Auch der Autohersteller Volkswagen deckt neue Betriebsrentenansprüche künftig über einen Pensionsfonds ab.
Zielke hält solche Umstellungen für dringend nötig. Das Problem sei auch nicht über den Pensionssicherungsverein (PSV) zu lösen, eine 1974 gegründete Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Wirtschaft. Der PSV sorgt dafür, dass bei der Insolvenz eines Unternehmens die Mitarbeiter zumindest einen Teil der Betriebsrente erhalten. „Der PSV funktioniert nur bei Einzelfällen, nicht bei einem generellen Problem“, sagt Zielke.
Zitat:
„Die aktiven Beschäftigten müssen die Rente der Vorgänger erwirtschaften“ – Carsten Zielke, WestLB
Bild(er):
Der Konkurs des US-Energiehändlers Enron kostete viele Mitarbeiter nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch die Ersparnisse – Bloomberg News.
Quelle: Financial Times Deutschland
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