Die längst fällige Umstrukturierung kommt in Gang

Artikelfolge: Lebensversicherer in der Krise / Teil 7 / Die deutschen Lebensversicherer sind in ihrer schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. In den letzten sechs Folgen haben wir über einzelne Aspekte dieser Krise, vergleichbare Entwicklungen in Japan und Großbritannien und vergangene Notlagen der deutschen Lebensversicherer berichtet. Heute geht es um ihre Zukunft in den nächsten Monaten und Jahren.

Von Herbert Fromme, Köln So schlecht haben die Lebensversicherer die Sparguthaben ihrer Kunden lange nicht verzinst: Im Jahr 2003 gibt es durchschnittlich nur 4,79 Prozent. Das hat der Branchenanalysedienst Map-report errechnet. Im Jahr 2002 waren es noch 6,13 Prozent, im Boomjahr 1999 sogar 7,25 Prozent.

Trotzdem verkaufen sich gerade klassische Kapitallebensversicherungen nicht schlecht, berichten die Versicherer, während fondsgebundene Produkte, bei denen der Kunde das Kapitalanlagerisiko trägt, einen starken Rückgang verzeichnen.

Der Grund ist einfach. Die Assekuranz profitiert von der Schwäche der Aktienmärkte und den niedrigen Zinsen für andere Anlageformen. Mit Recht argumentieren die Branchenvertreter, dass Anleger woanders kaum so hohe Zinsen erhalten.

Das liegt aber nur daran, dass die Überschussbeteiligungen immer noch zu hoch sind. Für Neuanlagen in festverzinslichen Wertpapiere bekommen die Versicherer heute nicht mehr als vier Prozent – das ist genau der Wert, den sie für Policen, die zwischen 1994 und 2000 abgeschlossen wurden, ihren Kunden garantiert haben. Zwar liegen noch Papiere aus früheren Jahren mit höheren Renditen im Portefeuille, aber mit mehr als 5,4 Prozent, das haben die Map-Analysten berechnet, kann kaum eine Gesellschaft kalkulieren. Dazu kommen die Verluste aus der Börsenzockerei, die sich negativ auf die Rendite auswirken.

Die Lebensversicherer schreiben nicht aus Menschenfreundlichkeit zu hohe Zinssätze gut. Der wahre Grund liegt im mörderischen Kampf um Neugeschäft. Die Lebenspolicen sind dabei extrem wichtig: Nur die vergleichsweise hohen Provisionen können das Vertriebssystem der Einfirmenvertreter aufrecht erhalten. Für eine Kfz-Police bekommt ein Vertreter eine Summe zwischen 25 Euro und 50 Euro, eine Kapitallebensversicherung bringt mehrere tausend Euro, je nach Laufzeit und Höhe. Ohne Lebensversicherung können sich die Konzerne die gegenwärtige Vertriebsstruktur überhaupt nicht leisten.

Das erklärt ihre Bereitschaft, hohe Überschussbeteiligungen auszuweisen – verbunden mit einer ganzen Portion Hoffnung, dass sich die Aktienmärkte drehen, die Zinsen steigen oder beides eintritt. Geschieht das nicht, wird die finanzielle Basis der Branche weiter ausgehöhlt. Nach Berechnungen der Analysten von WestLB Panmure sind die stillen Reserven der 24 größten Lebensversicherer von 42 Mrd. Euro Ende 2000 auf 1,5 Mrd. Euro heute geschrumpft.

Analysten rechnen als Folge mit einer scharfen Konzentrationsbewegung. Mehr als 80 der 120 Gesellschaften am Markt haben weniger als ein Prozent Marktanteil. Für die Bereinigung gibt es zwei Anstöße: Erstens steuern die Verbraucher ihre Nachfrage vermehrt in Richtung kapitalstarke Versicherer, zweitens geht einigen Gesellschaften die Luft aus. Das hängt vor allem mit zu hohen Überschussbeteiligungen zusammen, aber auch mit riesigen Investitionen in Bereiche, die sich als unrentabel herausstellen, vor allem die Riester-Rente.

Eine Reihe von Versicherern wird schon auf dem Markt angeboten, aber es fehlt an Käufern. Ausländische Interessenten winken ab, wenn sie die niedrigen Gewinne deutscher Lebensversicherer sehen. Deutsche Gesellschaften haben zur Zeit wenig Neigung, andere zu kaufen – erstens ist Geld knapp, zweitens können gesunde Unternehmen abwarten, bis die Finanzaufsicht BAFin ihnen Kundenbestände Not leidender Konkurrenten praktisch kostenlos übergibt.

Bisher ist das Fusions-und Übernahmekarussell deshalb kaum in Bewegung gekommen. Die Übernahme der Familienfürsorge durch die HUK Coburg war ein Einzelfall. Das könnte sich aber rasch ändern: Liegen die katastrophalen Bilanzen für 2002 erst einmal vor, gibt es für Vorstände und Aufsichtsräte sowie die Finanzaufsicht BAFin Handlungsbedarf.

Langfristig stellt sich die Frage, wie lange die Branche noch bereit ist, auf Kosten von Rendite und Eigenkapital künstlich hohe Zinsen zu zahlen. Auch die gegenwärtigen Provisions-und Vertriebsstrukturen stehen auf dem Prüfstand. Geraten weitere Gesellschaften in Schieflage, könnte sich auch der im Moment eher lockere Charakter der Finanzaufsicht in Deutschland ändern. Dann müssten die Versicherer mit einer ähnlich restriktiven Überwachung rechnen wie ihre Kollegen in den USA oder Großbritannien.

Quelle: Financial Times Deutschland

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