Regierungsberater Lauterbach schlägt Bürgerversicherung vor
Von Philipp Jaklin, Timo Pache, Berlin, und Herbert Fromme, Leipzig Die Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme erwägt die Abschaffung der privaten Krankenversicherung in ihrer heutigen Form. Das sieht ein Konzept des Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach vor, der auch enger Berater von Sozialministerin Ulla Schmidt ist. Wie Kommissionskreise gestern bestätigten, würden die gesetzliche Krankenkassen demnach zur Bürgerversicherung für alle ausgebaut.
Das Modell wäre eine Revolution der Krankenversicherung. Auch Selbstständige und Beamten müssten sich gesetzlich versichern. Die Privaten würden nur noch Zusatzpolicen etwa für Chefarztbehandlungen anbieten. „In einem solchen Konzept ist für die bisherige private Krankenversicherung kein Platz mehr“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender.
Entlasten will Lauterbach die Krankenkassen auch durch eine Steuerfinanzierung so genannter versicherungsfremder Leistungen wie Mutterschaftsgeld. Alleine 4,5 Mrd. Euro soll nach seinem Konzept eine Erhöhung der Tabaksteuer um 1 Euro pro Schachtel einbringen.
Wenig Chancen
Besserverdienende sollen zudem draufzahlen – die Beitragsbemessungsgrenze würde von heute 3425 auf 5100 Euro steigen. Außerdem würden Kassen generell die Kosten frei verkäuflicher Arznei nicht mehr übernehmen. Insgesamt kommt der Ökonom auf ein Sparvolumen von bis zu 36 Mrd. Euro. Die Folge wäre, dass die Beiträge von heute 14,3 Prozent auf unter zwölf Prozent sinken könnten.
In der Koalition hat das Modell einige Unterstützer. „Ich finde das Paket gut durchdacht und diskussionswürdig“, sagt Helga Kühn-Mengel, Sprecherin der Sozialpolitiker in der SPD-Bundestagsfraktion. Auch die Grünen sind für die Bürgerversicherung, lehnen allerdings eine höhere Beitragsbemessungsgrenze ab.
Ob die Lauterbach-Vorschläge umgesetzt werden, ist trotzdem fraglich. In der Kommission sind sie umstritten. Widerstand kommt auch von der Union, die im Bundesrat zustimmen müsste. „Es macht wenig Sinn, die private Krankenversicherung mutwillig zu zerstören“, sagt der CDU-Sozialexperte Andreas Storm. „Mit der Union ist das in der Form nicht zu machen.“
Beiträge auf Zinsen und Mieten
Front gegen die Bürgerversicherung machen erwartungsgemäß auch die Privaten. „Unsinnig“ sei der Vorschlag aus der Rürup-Kommission, sagte gestern Reinhold Schulte, Vorsitzender des Verbands der Privaten Krankenversicherung und Chef der Signal-Iduna-Gruppe. PKV-Versicherte subventionierten heute schon das gesamte Gesundheitssystem.
Die Rürup-Kommission will am 9. April über das Konzept entscheiden. Bis dahin rechnen Experten die Verteilungswirkungen aus. Die Bürgerversicherung konkurriert mit dem Alternativmodell des Kommissionschefs Bert Rürup: den Kopfpauschalen nach Vorbild der Schweiz.
Alle Versicherten würden dabei eine feste Prämie zahlen. Der Arbeitgeberanteil am Kassenbeitrag würde als Lohn ausgezahlt. Für Geringverdiener gäbe es einen steuerfinanzierten Zuschuss. Der Vorteil: Steigende Gesundheitskosten würden nicht sofort die Jobs teurer machen.
Weitgehend einig sind sich Rürups Experten über einen Schritt, den beide Modelle vorsehen: Auch auf Zinsen und Mieten sollen Beiträge erhoben werden. „Wenn wir die Krankenversicherung nachhaltig finanzieren wollen und zugleich die Beiträge senken, wird es nicht anders gehen“, heißt es aus der Kommission. Treffen würde das vor allem Rentner, aber auch Kleinsparer – also eigentlich die klassische SPD-Klientel.
Quelle: Financial Times Deutschland
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