Geplante internationale Standards treffen Lebens-und Krankenversicherer · Interview mit Ergo-Chef Lothar Meyer
Von Herbert Fromme, Düsseldorf Die klassische Kapital-Lebensversicherung und die private Krankenversicherung stehen vor dem Aus, sollten neue internationale Bilanzstandards für Versicherer wie bisher geplant eingeführt werden. Das sagte Lothar Meyer, Chef der Ergo-Versicherungsgruppe und Vorsitzender des Ausschusses für Rechnungslegung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, der Financial Times Deutschland.
„Die Einführung der neuen Regeln würde auch bedeuten, dass die Kapitalmärkte insgesamt viel volatiler werden“, sagte Meyer. „Wenn die Versicherer nur noch kurzfristig beurteilt werden, müssen sie auch kurzfristig an den Märkten reagieren.“ Das könne die Stabilität des Finanzsystems stark beeinträchtigen.
Bisher bilanzieren die deutschen Versicherer nach dem Handelsgesetzbuch (HGB), auf Konzernebene dagegen häufig nach dem amerikanischen Standard US-GAAP oder den International Accounting Standards (IAS). Ab 2005 müssen alle börsennotierten Unternehmen in der EU ihre Abschlüsse nach IAS vorlegen.
Allianz, Ergo und andere, die schon nach IAS bilanzieren, haben zurzeit mit dem Standard wenig Probleme. Denn spezielle Regeln für die Versicherer gibt es noch nicht. Meistens behelfen sich die Konzerne deshalb bei assekuranzspezifischen Problemen mit den entsprechenden Vorschriften der US-Bilanzierer.
„Aber ab 2007 oder 2008 müssen Versicherer nach den neuen Versicherungsregeln vorgehen“, sagte Meyer. Der Standard soll bis Mitte 2004 vom International Accounting Standards Board (IASB) in London festgelegt werden. Die vorliegenden Entwürfe führen bei den Verantwortlichen der Assekuranz zu schlaflosen Nächten.
Das Kernproblem liegt nach Ansicht Meyers in der so genannten Fair-Value-Betrachtung. Danach werden alle Versicherungsverträge prinzipiell als Finanzinstrumente behandelt, die einen Wert haben. „Das heißt auch, dass ein Versicherer den Gewinn aus einem Versicherungsvertrag bereits bei Abschluss des Vertrages ausweisen muss“, sagte Meyer.
Wenn ein Kunde bei einem Versicherer einen Versicherungsvertrag abschließt, muss das Unternehmen nach dem tagesaktuellen Stand etwa der Marktzinsen und des Kapitalmarkts den Gewinn aus dem Vertrag berechnen. Da sich diese Parameter während der Laufzeit des Vertrages laufend ändern, bucht der Versicherer jährlich Verluste oder Gewinne. Jede Zins-oder Kursänderung führt zu Gewinnschwankungen.
Für die Lebensversicherung hat das IASB zwar jetzt Kompromissbereitschaft signalisiert. Demnach würde das Vorziehen des Gewinnausweises weitgehend unmöglich gemacht. Am Grundproblem der Volatilität, die sich in den Bilanzen der Lebensversicherer zeigt, ändert das aber nichts.
„Die Gewinnrealisierung bei Vertragsabschluss steht im Widerspruch zur Langfristigkeit des Versicherungsgeschäfts“, sagte Meyer. Der Ausgleichsmechanismus über die Zeit, mit der vor allem Lebens-und Krankenversicherer arbeiten, sei nicht mehr darstellbar: Eine Zinsgarantie zu geben ist dann fast unmöglich. „Die klassische deutsche Lebensversicherung wäre tot. Noch schlimmer: Die ganze private Krankenversicherung in ihrer jetzigen Form wäre tot, denn die hat ja noch deutlich längere Laufzeiten“, erklärte Meyer.
Es gebe ein nicht zu überwindendes Missverhältnis zwischen den lang laufenden Risiken, die bei der Krankenversicherung 80 Jahre oder mehr sein können, und den Anlagemöglichkeiten. „Wir haben keine Staatspapiere, die über 30 bis 80 Jahre laufen“, sagte Meyer. Die privaten Krankenversicherer müssten auf kurzfristige Verträge ausweichen, die Lebensversicherer würden fondsgebundene Produkte verkaufen, bei denen der Kunde das Risiko trägt, oder nur noch Schlussgewinne auszahlen.
Die Assekuranz sei nicht dagegen, die von der IASB geforderten Angaben im Anhang zur Bilanz zu zeigen. „Aber wenn alle Änderungen der Zinsen und anderer Rahmenbedingungen als hohe Gewinne oder hohe Verluste durch unsere Gewinn-und Verlust-Rechnung gehen, werden wir nur noch nach der volatilen Performance einer einzelnen Periode beurteilt, nicht nach den Durchschnittsrenditen über einen längeren Zeitraum“, sagte er. „Das wird auch unsere Kapitalmarktfähigkeit stark beeinflussen.“ Es sei nicht zu verstehen, warum ein Versicherer in einem Jahr Milliardengewinne und im nächsten Milliardenverluste zeige.“Das benachteiligt uns im Vergleich mit anderen Branchen. Die herstellende Industrie muss länger laufende Verträge über den Verkauf von Pkw oder den Bau einer Brücke nicht mit dem zu erwartenden Gewinn darstellen.“
Alle großen Versicherungsländer seien gegen das Prinzip „Full Fair Value“, sagte Meyer. Er hofft, dass die EU für mildere als die rigorosen neuen Standards sorgt.
Bild(er):
Ergo-Chef Lothar Meyer macht sich große Sorgen um die Bilanzregeln – Juergen Schwarz.
Quelle: Financial Times Deutschland
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