Finanzgewerbe hält Ausschau nach guten Verkäufern

Banken und Versicherer wetteifern verstärkt um den Privatanleger – das eröffnet Beratern exzellente Jobchancen · Viele Karrieren starten im Vertrieb

Von Anja Krüger Der Kandidat muss sich sofort entscheiden. Will er den Job mit dem erheblich höheren Gehalt annehmen, obwohl er keine Informationen über den Arbeitsplatz hat? Seine Antwort soll Aufschluss über seine Persönlichkeit geben. Will er den Job, reagiert er stark auf ökonomische Anreize. Lehnt er ab, ist ihm persönliche Wertschätzung wichtiger. Für Mitarbeiter von Finanzdienstleistern ist das nicht unbedingt gut. Legen sie zu viel Wert auf die Anerkennung des Kunden, kann das bei Verkaufsgesprächen hinderlich sein.

Mit Persönlichkeitstests können Unternehmen herausfinden, was für ein Typ der Bewerber oder Mitarbeiter ist. „Eine Antwort allein sagt nichts aus, es kommt auf das Gesamtbild an“, sagt Horst Stolzenberg, Geschäftsführer von American Express Finanzmanagement. Die Vertriebsorganisation, eine Tochter der American Express Bank, bietet Mitarbeitern und jenen, die es werden wollen, einen Test mit 36 Fragen zur so genannten Biostrukturanalyse an. Noch sind solche Methoden in der Finanzwirtschaft selten. „Aber sie werden zunehmen“, schätzt Stolzenberg. Denn diese Tests seien ein gutes Instrument zur Personalführung.

Gute Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource der Finanzbranche. Ob Investmentfonds, Bausparvertrag oder private Rentenversicherung, von allein verkaufen sich die Verträge nicht. 2004 hatten die Deutschen ein Vermögen von mehr als 4000 Mrd.Euro in Lebensversicherungen, Investmentfonds und auf Sparbüchern und Konten angelegt – 15-mal so viel wie der gesamte Bundeshaushalt. Die Anbieter konkurrieren um dieses Kapital: Versicherer wollen, dass Kunden das bei den Banken liegende Geld in ihre Policen stecken. Kreditinstitute und Investmentgesellschaften möchten das Vermögen ihrer Kunden nicht in Versicherungspolicen verschwinden sehen.

Das Potenzial der Branche wird enorm zunehmen. Der Staat verlagert immer mehr Aufgaben aus den gesetzlichen Sozialsystemen in die Privatwirtschaft. Für junge Menschen gibt es keine gesetzliche Berufsunfähigkeitsversicherung mehr, die Krankenkassen leisten immer weniger. Durch die Rentenreformen von 2001 und 2004 wird die Durchschnittsrente um 150Euro im Monat sinken. Diese Lücken sollen die Arbeitnehmer nach dem Willen der Finanzdienstleister mit zusätzlicher Altersvorsorge füllen. Weil für die meisten Kunden der Ruhestand aber weit weg ist, müssen Vermittler viel Überzeugungsarbeit leisten.

Heute arbeiten im Kreditgewerbe mehr als 700 000 Beschäftigte. In den Versicherungsunternehmen sind knapp 241 000 Mitarbeiter angestellt. Hinzu kommen schätzungsweise 300 000 Vertreter, die im Haupt- oder Nebenberuf Verträge auf Provisionsbasis verkaufen. Zwar sinkt die Zahl der Beschäftigten in der Finanzbranche, da viele Arbeiten wie die Erfassung von Schadensmeldungen oder Kreditanträgen automatisiert werden. Aber der Bedarf an qualifiziertem Personal und vor allem starken Vertriebsleuten ist bei allen Anbietern hoch, sagt Burkhard Vesper, Partner der Unternehmensberatung Maurice Consult. Gefragt sind vor allem Leute mit vertrieblichem Können. „Wer gut ist, fällt schnell auf“, sagt Vesper. „Wer gut verkauft, wird für weiterführende Aufgaben gesucht.“ Deshalb fangen auch Hochschulabsolventen mit sehr guten Noten im Vertrieb an. „Das ist ein ganz wichtiger Baustein für die Karriere.“ Vesper selbst hat seine Karriere mit einer Ausbildung bei der Allianz begonnen – im Verkauf. „Es funktionierte gut“, sagt er. Danach war er als Industrieversicherer im internationalen Geschäft tätig.

Auch Geschäftsführer Stolzenberg hat seine Karriere im Vertrieb gestartet. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft Anfang der 90er Jahre absolvierte er ein Traineeprogramm bei der Commerzbank und war Filialleiter, danach in leitender Funktion bei einem Versicherungsmakler. Dann kehrte er zur Commerzbank zurück und wechselte als Chef zur American Express Finanzmanagement. Stolzenberg ist davon überzeugt, dass unter den Vermittlern von Finanzdienstleistungen in den kommenden Jahren ein harter Verdrängungswettbewerb stattfinden wird. „Der nebenberufliche Vertreter ist spätestens übermorgen tot“, sagt er.

Noch darf jeder Finanzdienstleistungen verkaufen – auch wenn er nichts davon versteht. Das wird sich bald ändern, denn die Bundesrepublik muss die EU-Vermittlerrichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Dann müssen Vertreter eine Berufskunde nachweisen und eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. „Es gibt in der Finanzbranche riesige Aufstiegschancen für Leute, die das richtige Rüstzeug mitbringen oder bereit sind, es sich anzueignen“, sagt Stolzenberg.

Genauso wichtig wie die fachliche Qualifikation sei die innere Einstellung. „Banken haben heute eine Belegschaft mit Angestelltenmentalität“, sagt er. „Es ist schwierig, sie zum Jagen zu tragen.“ Finanzdienstleister setzen deshalb nach seiner Auffassung künftig auf Mitarbeiter mit Unternehmermentalität – die eine große Bereitschaft zur Eigeninitiative haben und nicht schon um 17 Uhr nach Hause gehen wollen. „Das haben die Nachkommenden denen, die schon drin sind, voraus“, sagt er.

Von den 100 Beratern, die für Stolzenberg arbeiten, haben 90 Prozent Abitur und 36 Prozent einen Hochschulabschluss. „Für die Versicherungswirtschaft ist die Qualifikation der Mitarbeiter bereits heute wichtiger Standortvorteil“, sagt Bernhard Schareck, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. 40 Prozent der Mitarbeiter haben Abitur, knapp 30 000 Hochschulabsolventen sind bei Versicherern beschäftigt, vor allem Juristen, Mathematiker, Diplom-Kaufleute und Volkswirte. Schareck: „Dieser Akademisierungsprozess wird sich beschleunigen – ebenso wie die Komplexität der Versicherungswelt.“

Zitat:

„Der nebenberufliche Vertreter ist spätestens übermorgen tot“ – Horst Stolzenberg, Geschäftsführer von American Express Finanzmanagement

Bild(er):

Kritischer Blick aus großer Brille: Der 79-jährige Alan Greenspan schaffte den Sprung vom Studenten der Wirtschaftswissenschaften in New York zum Notenbankchef der USA. Auch Finanzberater steigen zurzeit leicht auf – Corbis/Reuters/Kevin Lamarque

Quelle: Financial Times Deutschland

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