Der Finanzdienstleister MLP galt einst als Star einer ganzen Branche – undstieg auf bis in den Dax. Unsaubere Bilanzen und fragwürdige Methoden holten denÜberflieger zurück auf den Boden. Jetzt muss er sich von seinem Erzrivalen auchnoch vorführen lassen
Von Herbert Fromme, Köln,
und Nina Klöckner, Hamburg
Uwe Schroeder-Wildberg ist eigentlich ein gelassener Mensch. Der promovierte Betriebswirt ist kein Verkäufertyp, er ist eher ein kühler Analytiker. Und so bleibt der Chef des Finanzdienstleisters MLP selbst in kniffligen Situationen ruhig. Nur eines treibt dem 43-Jährigen die Zornesröte ins Gesicht: Wenn seine Firma mit einer Organisation verglichen wird, die eine „sektenähnliche Struktur“ hat und gegen ihre Außendienstmitarbeiter „psychologische Druckmittel, vergleichbar mit denen von sektenählichen Vereinigungen“, anwendet.
Die Wiesbadener Anwältin Heidrun Jakobs hat das ausgerechnet vor dem Arbeitsgericht in Ulm getan. Die Reaktion folgte prompt. Per einstweilige Verfügung wurde der streitbaren Juristin, die eine Reihe ehemaligen MLP-Mitarbeiter gegen ihren früheren Arbeitgeber vertritt, diese Äußerung untersagt. Doch der Triumph in der Wieslocher MLP-Zentrale war nur von kurzer Dauer. Am 20. Juni 2006 hob das Landgericht Wiesbaden die einstweilige Verfügung auf und wies die Klage gegen Jakobs ab.
Der Streit ist symptomatisch. Noch vor ein paar Jahren war MLP der Star in der Branche, ein Überflieger, der es bis in den Dax schaffte und von allen hofiert und gefeiert wurde. Inzwischen ist der Lack ab. Der Ruf ist ramponiert, die Aktie dümpelt.
Ende vergangener Woche folgte die wohl größtmögliche Demütigung: Ausgerechnet Carsten Maschmeyer, der Chef des großen Rivalen AWD, kaufte sich 27 Prozent von MLP und reichte sie an den AWD-Hauptaktionär Swiss Life weiter. Er will AWD und MLP zusammenspannen. Der vorläufige Tiefpunkt eines beispiellosen Absturzes.
Die Geschäftsidee der Finanzvertriebe ist simpel. Die Lebens- und Krankenversicherer sind ständig auf der Suche nach neuen Kunden, dafür geben sie unglaublich viel Geld aus – mehr als 7,5 Mrd. Euro jährlich an Abschlusskosten. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, die sich nur ungern mit dem Thema Versicherung beschäftigen. Hier kommen die Vertriebe ins Spiel. Denn die Verlockung, die lästigen Angelegenheiten einem Profi zu übergeben, ist groß.
„Wir sind in wenigen Jahren dreimal umgezogen. Da ist es ganz toll, dass ich den MLP-Mann anrufe und der bei den Versicherungen alles regelt“, berichtet Karsten C., seit 1990 MLP-Kunde. Sein Vertreter ist immer noch derselbe, der ihn damals in der Kölner Uni angesprochen hat, auch wenn der MLP-Mann inzwischen ebenfalls mehrfach Wohn- und Arbeitsort gewechselt hat.
Damit die Finanzvertriebe reibungslos funktionieren, brauchen sie Leitfiguren wie Reinfried Pohl bei der Deutschen Vermögensberatung (DVAG), Carsten Maschmeyer bei AWD oder Manfred Lautenschläger, den Gründer von MLP – alles Manager, die den Traum der Vertreter vom Reichtum repräsentieren und Geschick darin haben, junge Menschen für sich und ihre Verkaufsidee zu gewinnen.
Denn die wichtigste Voraussetzung für jeden Finanzvertrieb sind gute Verkäufer. Doch die sind nicht leicht zu finden. Und noch schwerer langfristig an ein Unternehmen zu binden. Der Anteil der Provision, der an die freien Handelsvertreter ausgezahlt wird, reicht dafür kaum aus – schließlich wird auf jeder Ebene der Struktur davon etwas abgezwackt. Also haben sie sich bei MLP und später bei AWD etwas Besonderes ausgedacht: Aktien am eigenen Unternehmen sollen den Traum vom Reichtum für die Vertriebler wahr machen. 1988 geht das Wieslocher Unternehmen an die Börse. Mit viel Selbstbewusstsein und einer guten Geschichte für den Kapitalmarkt.
Die Firma vermittelt Policen vor allem an Ärzte, Akademiker und gut verdienende Selbstständige. Die Vertreter werben ihre Kunden meist schon an der Universität, und mit dem Wohlstand der Kundschaft wächst auch der von MLP. Das Geschäft läuft gut, in den 90ern klettern Umsatz und Gewinn jährlich um durchschnittlich 30 Prozent, der Aktienkurs steigert sich vom Börsengang 1988 bis zum Jahr 2000 um mehr als 30 000 Prozent. Im Jahr 2001 erwirtschaftet MLP mit 2500 Vertretern mehr als 1 Mrd. DM.
Der Mann, der MLP endgültig in die Ruhmeshalle der Finanzwirtschaft führen soll, heißt Bernhard Termühlen. Großaktionär Manfred Lautenschläger macht ihn 1999 zum Vorstandschef. Und Termühlen verordnet dem Konzern sofort ein brutales Wachstumstempo. Er sorgt dafür, dass MLP zum Liebling der Analysten und Anleger wird, indem er präzise die hohen Gewinnsteigerungen einhält. Im Sommer 2001 erreicht er das ersehnte Ziel: Der Heidelberger Finanzvertrieb wird in den Dax 30 aufgenommen, in den Kreis der wichtigsten deutschen Aktiengesellschaften. Zwar verliert die Aktie anfangs, doch der Ruf ist tadellos. So lobt das Anlegermagazin „Börse Online“, MLP überzeuge „weiter fundamental“ und die Aktie „dürfte den größten Teil des Abstiegs hinter sich haben“.
Nur ein Jahr später ist von der freundlichen Bewertung nichts mehr übrig. Die allgemeine Aktienkrise hat auch MLP erwischt. Noch schwerer aber wiegt, dass der einstige Börsenliebling mit immer neuen Vorwürfen konfrontiert wird. Es geht um unsaubere Bilanzen und die Frage, ob die Firma Gewinne künstlich aufgebläht oder zumindest geglättet habe. Der Kern der Vorwürfe: MLP lasse sich die Gewinne zum Teil über Rückversicherungsmodelle von Versicherern und Rückversicherern vorfinanzieren. Die Staatsanwaltschaft durchsucht die Büroräume. Jahre später werden Strafverfahren gegen Termühlen und andere Verantwortliche gegen die Zahlung hoher Geldbußen eingestellt.
Am 2. August 2002 muss das Unternehmen erstmals eine Gewinnwarnung herausgeben, der Kurs stürzt am selben Tag um fast 50 Prozent auf 7,80 Euro ab, es ist der dramatischste Einbruch, seit es den Dax gibt. Viele Mitarbeiter haben Aktien auf Pump gekauft und sind plötzlich hoch verschuldet. Termühlen und Lautenschläger unterstützen ihre Angestellten – mit 16 Mio. Euro aus ihrem Privatvermögen.
Der Höhenflug ist vorbei. Der Kurs der MLP-Aktie rauscht von einst 170 Euro auf 6 Euro. Das mittlere Management ist überfordert, die Stimmung unter den Vertretern desolat, die Marke schwer beschädigt. Nur zwei Jahre nach der Aufnahme muss das Unternehmen den Dax wieder verlassen.
Neben den Vorwürfen belastet den Konzern vor allem ein strukturelles Problem. Termühlen hat das Unternehmen in seiner Amtszeit komplett auf sich zugeschnitten und Entscheidungen meist allein getroffen. Nun soll der vom Internetbroker Consors abgeworbene Finanzvorstand Uwe Schroeder-Wildberg das Bilanzchaos beseitigen.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt stößt das voll auf Wachstum ausgelegte Geschäftsmodell an seine Grenzen. Die Berater machen sich gegenseitig Konkurrenz, in den Großstädten buhlen bis zu 20 Niederlassungen um die Kundschaft. Hinzu kommt der Vertrauensverlust, vor allem bei den Studenten. Ende 2003 tritt Termühlen zurück und hinterlässt ein Unternehmen, das noch lange seine Versäumnisse ausbaden darf.
Nachfolger wird Schroeder-Wildberg, der sich in seiner kurzen Zeit als Finanzchef für Höheres empfohlen hat. Er krempelt die Bilanzierung um, löst die umstrittenen Rückversicherungsgeschäfte auf und stößt später die MLP-eigenen Versicherer ab. Marode Auslandstöchter schließt er. Schroeder-Wildberg versucht, den Konzern aus der tiefen Krise zu führen und das ramponierte Image zu verbessern. Wochenlang besucht er die verunsicherten Vertreter, hört sich ihre Sorgen an und versucht, Vertrauen zurückzugewinnen.
Mehrfach gibt es Verkaufsgerüchte. Die deutsche Tochter des französischen Versicherungskonzerns Axa ist interessiert, ebenso die Deutsche Bank, auch Rivale AWD macht 2006 einen ersten Vorstoß in Richtung Fusion – bei der AWD-Chef Maschmeyer dem Konkurrenten MLP sogar die führende Rolle überlassen hätte. Großaktionär Manfred Lautenschläger, der 32 Prozent hält, führt manches Gespräch, verwirft aber dann die Verkaufspläne.
Heute hat der Firmengründer keine Wahl mehr. Entweder arrangiert er sich in den kommenden Monaten mit dem neuen Großaktionär Swiss Life, der die Mehrheit an AWD besitzt. Oder er findet einen anderen Käufer, mit dem er sich Swiss Life vom Leibe hält – und damit den Konkurrenten AWD, dessen Chef Maschmeyer von der Schaffung des „größten Finanzdienstleisters der Welt“ durch eine Fusion von AWD und MLP träumt.
Der Zeitpunkt des Angriffs auf MLP ist kein Zufall. Die Geschäfte bei den Finanzvertrieben laufen nicht gut, neue Gesetze und Vorschriften sorgen für einen hohen Mehraufwand, und wegen der Finanzkrise scheuen viele Kunden langfristige finanzielle Bindungen. „Cabrios kauft man im Winter, dann sind sie billiger, und für Finanzdienstleister ist gerade Winter“, sagt Maschmeyer.
Quelle: Financial Times Deutschland
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