Die Versicherungswirtschaft verteidigt ihr Provisionssystem und weigert sich,über Alternativen nachzudenken. Damit lädt sie Politiker zu verschärfterRegulierung geradezu einVon Herbert Fromme
Der Großangriff hat begonnen. Verbraucherschützer, EU-Kommission und deutsche Politiker aus allen Lagern schießen sich auf die Vertriebsmethoden der Versicherer ein. Ihr Angriffsziel ist die Provision, die Summe, die bei Abschluss eines Vertrags zum größten Teil an den Vermittler fließt. Sie ist der Hauptanreiz für die Vertriebler – die eigenen Vertreter der Branche, für Mitarbeiter von Banken, Großvertriebe und für Versicherungsmakler. Und den Kritikern der Versicherungsbranche ist sie ein Dorn im Auge. Die Provisionsberatung führe zu Fehlsteuerungen, argumentieren sie. Bestimmte Finanzangebote seien für die Vertriebsleute lukrativer als andere, der Vermittler berate eher im eigenen Interesse als dem des Kunden.
Die Versicherungswirtschaft reagiert darauf mit ihrem üblichen Reflex. Sie bestreitet, dass es überhaupt ein Problem gibt. Und sie weigert sich, über Alternativen nachzudenken. Aber der Versuch, die Kritik abperlen zu lassen und die Debatte auszusitzen, wird nicht funktionieren. Denn hinter der Diskussion steckt ein sehr reales Problem, das sogar einigen Versicherungsunternehmen zum Verhängnis werden könnte, wenn sie nicht bald handeln.
Milliardenschwere Fehler
Eine von Verbraucherministerin Ilse Aigner in Auftrag gegebene Studie geht davon aus, dass die deutschen Verbraucher für ihren Versicherungsschutz 20 Mrd. Euro pro Jahr zu viel ausgeben, weil sie falsche Policen bei schlechten Versicherern haben. Belege für die Höhe liefert die Studie kaum. Aber sie demonstriert, warum das Thema für Politiker wichtig geworden ist.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Debatte weiter angeheizt. Dabei unterscheiden Politiker kaum zwischen Bankern, die älteren Anlegern Lehman-Zertifikate als besonders sicher verkauft haben, und Versicherungsvertretern, die fondsgebundene Lebensversicherungen absetzten.
Das Zaubermittel der Versicherungskritiker heißt Honorarberatung. Der Berater wird vom Kunden mit einem Honorar bezahlt, die Prämie liegt um den Satz niedriger, den sonst die Provision gefressen hätte. Bisher ist die Honorarberatung kaum verbreitet. Aber in der EU-Kommission gibt es starke Kräfte, die sie unbedingt fördern wollen. Entsprechende Vorgaben wird Brüssel in der Überarbeitung der EU-Vermittlerrichtlinie für Versicherer machen. Einzelne EU-Mitglieder wie Finnland oder Dänemark haben die Provisionsberatung bereits in weiten Teilen verboten. Über Erfolg oder Misserfolg dieses Verbots wird noch gestritten.
Tatsache ist, dass die jahrzehntelange Vorherrschaft des provisionsgetriebenen Verkaufs Verwerfungen mit sich gebracht hat. So haben sich in Deutschland 247 000 Menschen als Versicherungsvermittler registrieren lassen. Zum Vergleich: Das Land hat 126 000 niedergelassene Ärzte. Auch verglichen mit anderen EU-Ländern ist die Vermittlerdichte sehr hoch, die Qualität der Beratung aber verbesserungswürdig.
Die Kosten dieser Verkaufsmethode für den Kunden sind beträchtlich. Die großen Vertriebe wie MLP oder AWD legen bei Lebensversicherungen kaum für weniger als sechs bis sieben Prozent der gesamten vom Kunden zu zahlenden Beiträge los – aufgeteilt in die eigentliche Provision und in alle möglichen Arten von Vertriebs-, IT- und Marketingzuschüssen. In der privaten Krankenversicherung sind zehn bis zwölf Monatsbeiträge Abschlussprovision Standard, in Einzelfällen sogar 14 oder 16.
Das sollte den Vorständen der Versicherer größte Sorgen bereiten. Denn bei einer Provision von 12 oder 14 Monatsbeiträgen ist die Verlockung für Rivalen oder Großvertriebe sehr groß, die Kundenbasis der Gesellschaften gezielt anzugreifen. Wenn ein Krankenversicherer aus irgendeinem Grund in die öffentliche Kritik gerät – sei es, weil er zögerlich Schäden reguliert, sei es, weil seine Finanzkraft angeschlagen ist – ist es ein Leichtes, verunsicherte Kunden wegzulocken.
Konkurrenzkampf mit harten Bandagen
Dabei sind die Unternehmen im Umgang mit der Konkurrenz nicht zimperlich. Um Kunden abzuwerben, formulieren Vertreter und Vertriebe sogar noch das Kündigungsschreiben für den alten Versicherer. Umdecken nennt sich die Praxis. Der Großvertrieb DVAG brachte 2008 das Kunststück fertig, zahlreichen Anlegern die Kündigung bestehender Riester-Verträge bei der Aachen-Münchener nahezulegen – und dann neue Riester-Verträge bei eben dieser Aachen-Münchener abzuschließen. In der privaten Krankenversicherung schätzen die Marktteilnehmer selbst, dass mehr als 30 Prozent der Neugeschäftskunden von der Konkurrenz kommen – und dass davon ein erheblicher Teil auf Umdeckungen beruht.
Es muss sich noch zeigen, ob die Honorarberatung ein geeignetes Modell ist, den Versicherungsbedarf zu decken. Auf jeden Fall sollte die Assekuranz aber schon jetzt selbst handeln. Sie muss weg von den hohen Abschlussprovisionen, die zu Umdeckungskampagnen einladen, und sie muss deutlich transparenter werden. Nur dann kann sie darauf hoffen, dass künftige Regeln auf EU- und Bundesebene für sie erträglich sind.
E-Mail fromme.herbert@guj.de
Quelle: Financial Times Deutschland
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