Die Förderung von Öl vor der Küste ist riskant, gerade in tiefen Gewässern.Bei Großschäden drohen Unternehmen nicht nur hohe Zahlungen, sondern auchstrengere Gesetze
VON Patrick Hagen
Drei Wochen brannte die Förderplattform Piper Alpha 1988 nach mehreren Explosionen, mehr als 160 Ölarbeiter starben. Das Unglück verursachte Milliardenschäden und zählt immer noch zu den größten Katastrophen bei der Offshore-Förderung von Gas und Öl – und es ereignete sich in der Nordsee.
Wie der Golf von Mexiko ist die Nordsee von einem dichten Netz aus Förderplattformen durchsetzt. Umweltschützer fürchten, dass es auch hier jederzeit wieder zu einem schweren Unglück kommen kann. Das Risiko steigt auch, weil die meisten Öl- und Gasfelder der Nordsee weitgehend ausgebeutet sind. Denn aus diesem Grund wagen sich die Energiekonzerne in immer tiefere Gewässer vor. Vor den Shetlandinseln sucht BP in rund 400 Meter Tiefe mit Bohrschiffen nach Öl. Je tiefer die Bohrungen stattfinden, desto größer ist das Risiko, mahnen Kritiker. „Taucher können nur bis rund 200 Meter Tiefe arbeiten“, sagt Christian Bussau von Greenpeace. Bei einem Störfall müssten sich die Firmen auf unbemannte Roboter verlassen, wie jetzt im Golf von Mexiko.
Die norwegische Klassifizierungsgesellschaft Det Norske Veritas hat die Sicherheitsvorkehrungen in der Nordsee mit denen im amerikanischen Teil des Golfs von Mexiko verglichen – und gibt erst einmal Entwarnung. Die Wahrscheinlichkeit eines Ölaustritts sei im Golf neunmal höher als in der Nordsee.
Nach großen Ölkatastrophen sieht sich die Energiebranche verschärften Regeln gegenüber. So gerieten nach einer Reihe von schweren Unglücken Tanker mit nur einer Außenhülle ins Abseits. Die Ölfirmen mussten umrüsten auf Doppelhüllentanker, die mehr Sicherheit vor auslaufendem Öl bieten. Nach dem Brand auf der Piper Alpha erarbeitete eine Untersuchungskommission mehr als 100 Vorschläge, um die Sicherheit auf Bohrinseln zu verbessern – die Ölunternehmen akzeptierten alle. Wie weitgehend die Folgen für die Branche sein können, zeigt das von US-Präsident Barack Obama jetzt verhängte sechsmonatige Moratorium für Bohrungen im Golf von Mexiko. Fernsehbilder von verklebten Vögeln und ölverseuchten Stränden sind außerdem ein Imagedesaster für die betroffenen Unternehmen.
Öl- und Gasfirmen, die in der Nordsee fördern, haften nach dem OPOL-Abkommen bis zu einer Höchstsumme von 120 Mio. $ für Verschmutzungen durch auslaufendes Öl. Die Förderunternehmen müssen nachweisen, dass sie für diese Summe aufkommen können. „Üblicherweise wird die Deckung innerhalb einer sogenannten Control-of-Well-Versicherung zur Verfügung gestellt“, sagt Ingo Peters vom Versicherungsmakler Aon. Sie übernimmt die Kosten, die entstehen, um ein außer Kontrolle geratenes Bohrloch wieder in den Griff zu bekommen.
Darüber hinaus schützen sich die Unternehmen mit einer Haftpflichtdeckung. Sie zahlt für Schäden an Dritten sowie Umweltschäden. „Von den versicherten Schäden sind ein relativ kleiner Teil Umweltschäden“, sagt Peters. Dafür sind sie meistens sehr hoch, wenn einmal etwas passiert.
Die Frage nach der Haftung ist in der Regel kompliziert. Schon deshalb, weil es eine ganze Reihe von Beteiligten gibt: Üblicherweise bohren mehrere Firmen in einem Konsortium nach Öl. Die Bohrplattform gehört wiederum einem anderen Unternehmen, das sie vermietet. Dazu kommen Ausrüstungshersteller wie die Produzenten der sogenannten Blowout-Preventer. Diese riesigen Ventile stehen im Mittelpunkt der Sicherheitsvorkehrungen bei der Förderung von Öl und Gas vor der Küste. Sie sollen im Falle eines plötzlichen Druckanstiegs im Bohrloch verhindern, dass Schlamm, Öl und Gas unkontrolliert nach oben schießen. Bei der Deepwater Horizon hatte dieses Sicherheitsventil versagt.
Auch in der Nordsee arbeiten die Plattformen mit dieser Technik. Erst am 19. Mai 2010, kurz nach der Havarie der Deepwater Horizon, musste der norwegische Betreiber Statoil seine Nordseeplattform Gullfaks C teilweise evakuieren, nachdem eines von zwei Sicherheitsventilen ausgefallen war. Mittlerweile hat Statoil das Bohrloch geschlossen. Allerdings können die in der Nordsee verwendeten Ventile zusätzlich mit einem akustischen Signal aus der Distanz aktiviert werden.
Mit Imageproblemen haben die geplanten Offshore-Windparks in der Nordsee nicht zu kämpfen. Sie werden nicht mit Umweltverschmutzung assoziiert, sondern mit der Energieversorgung der Zukunft. In den nächsten Jahrzehnten sollen zahlreiche Offshore-Windparks in der Nordsee entstehen. Da der Wind vor der Küste stärker und gleichmäßiger ist, erwarten die Betreiber, dass sie deutlich mehr Strom erzeugen als ihre Pendants an Land.
Zwar stehen die ersten Projekte vor den Küsten Dänemarks und Großbritanniens schon eine Weile, aber noch weiß niemand genau, welche Probleme sich aus dem dauerhaften Betrieb auf hoher See ergeben. Denn die deutschen Parks sollen mehrere Hundert Kilometer vor der Küste in 60 Meter Tiefe gebaut werden. Die Türme sind mit rund 200 Metern Höhe zudem deutlich größer als an Land. Für viele Bauteile existieren noch keine Erfahrungswerte. „Wir sprechen von einer bekannten Technik in einem unbekannten Umfeld“, sagt Richard Manson von der Allianz Global Corporate & Specialty, der Industrieversicherungstochter des Allianz-Konzerns. Die Allianz ist in Deutschland der zweitgrößte Versicherer von Windanlagen hinter Marktführer Gothaer. Den Versicherern bereiten die Windanlagen noch Kopfzerbrechen. Einerseits möchten sie dabei sein, wenn die großen Energiekonzerne ihre Windparks starten. Sie müssen aber auch die Prämien entsprechend den erwarteten Schäden kalkulieren – und das ist schwierig. Zwar gibt es Schätzungen, diese basieren aber auf den Erfahrungen an Land. „Die bisherigen Schätzungen sind aus unserer Sicht zu niedrig“, sagt Manson. Fragezeichen gibt es vor allem bei der Haltbarkeit der Fundamente im Wasser und bei der Anbindung an das Stromnetz. Auch mögliche Schäden aus Stürmen, die gleich mehrere Windparks verwüsten könnten, machen die Risikoberechnung schwierig.
Quelle: Financial Times Deutschland
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