Die Versicherer sind Verlierer der Finanzkrise. Ihre Verwandlung inFinanzkonzerne ist gescheitert
Herbert Fromme
Versicherung galt lange Zeit bei Anlegern, Managern, Politikern und vielen der eigenen Mitarbeiter als langweiliges Geschäft. Wer sich nicht extrem dumm anstellte, konnte nicht viel falsch machen. Besonders hohe Gewinne waren allerdings auch nicht möglich. Banken dagegen kontrollierten das Finanzsystem und hatten den Ruf, mächtig und sehr lukrativ zu sein. Die Versicherungskonzerne haben viel unternommen, um es ihnen gleichzutun. Sie sind daran gescheitert.
Die Versicherer hatten einen Vorteil gegenüber den Banken, und den nutzten sie ab Mitte der 90er-Jahre: Die bei ihnen liegenden Milliarden stammten aus langfristigen Spar- und Reservepositionen. Bei einer Bank kann ein Kunde sein Geld von einem Tag auf den anderen abziehen, bei einer Lebensversicherung meistens nur mit hohen Verlusten. Durch die systembedingt hohe Kapitalausstattung konnten die Versicherer zudem sehr gute Noten von den Ratingagenturen vorweisen.
In den Jahren scheinbar endlos steigender Börsenkurse ließen die Assekuranzbosse ihre Muskeln spielen. Sie investierten hohe Summen in Aktien und steigerten die Gewinne dramatisch.
Traum vom AufstiegDoch das reichte ihnen nicht. Die Allianz versuchte, mit dem Kauf der Dresdner Bank endlich vom Versicherer zum Finanzkonzern aufzusteigen. Sie war nicht allein. In Belgien und den Niederlanden kauften Versicherer Banken oder fusionierten mit ihnen. Swiss Re versuchte, die Kapitalanlage wie eine Bank zu führen, und holte dafür einen Investmentbanker an die Spitze. Der weltgrößte Versicherer AIG nutzte sein exzellentes Rating zur Absicherung von Kreditderivaten, der bedeutende Versicherer XL tat dasselbe.
Dieser Ausbruchsversuch der Assekuranz aus der Enge ihres Kerngeschäfts ist gründlich misslungen. AIG konnte nur mit 183 Mrd. Dollar Staatshilfe gerettet werden, Swiss Re benötigte Milliardenhilfe von Warren Buffett, die Allianz gab die Dresdner in einem Notverkauf knapp vor der Lehman-Pleite an die Commerzbank ab, die bald darauf staatliche Hilfe brauchte. In den Beneluxstaaten liegen die Allfinanzkonzerne in Scherben.
Die Gewichte haben sich dramatisch verschoben. Im Mai 2000 war der größte europäische Versicherer Allianz an der Börse 95 Mrd. Euro wert. Heute sind es knapp 41 Mrd. Euro. Dem weltgrößten Rückversicherer Munich Re, ebenfalls in der Münchner Königinstraße beheimatet, geht es nicht besser. Vor zehn Jahren bewerteten ihn Anleger mit 55 Mrd. Euro, heute mit 21 Mrd. Euro.
Besser sieht es bei Deutschlands größtem Geldhaus aus. Die Deutsche Bank wird heute mit 38 Mrd. Euro bewertet, vor zehn Jahren mit 51 Mrd. Euro. Das ist trotz Finanzkrise ein Rückgang um nur 26 Prozent und deutlich weniger als der Absturz der beiden großen Versicherer, die jeweils mehr als die Hälfte verloren. Vor zehn Jahren – ein Jahr vor dem Kauf der Dresdner – war die Allianz nach Börsenkapitalisierung fast doppelt so groß wie die Deutsche Bank. Heute liegen sie gleichauf.
Der Vergleich mit Europas größter Bank HSBC ist für das Schwergewicht aus München noch weniger schmeichelhaft. Die Briten hatten im Mai 2000 einen Börsenwert von 110 Mrd. Euro. Seither ist der Kurs des Pfunds drastisch gefallen, dennoch ist die HSBC auch in Euro gemessen mehr wert als vor zehn Jahren, nämlich 131 Mrd. Euro. Europas führende Bank bringt dreimal so viel auf die Waage wie der Assekuranzmarktführer.
Offensichtlich misstrauen die Anleger inzwischen dem Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft. Damit sind sie nicht allein. Regierungen und EU legen die Assekuranz gerade in ein Stahlkorsett mit dem Namen Solvency II. Die neuen Eigenkapitalregeln sitzen so eng, dass die Branche sich kaum noch rühren kann. Wer in Aktien investiert, wird bestraft, wer Staatsanleihen kauft, auch griechische, belohnt.
Es ist nach den Krisenereignissen der vergangenen zwei Jahre schon fast bizarr, dass die Politiker mit dem Schlachtruf des Kundenschutzes ausgerechnet die Versicherer so eng an die Kandare nehmen. Die Banken, die allein in Deutschland von der Assekuranz ständig mit rund 600 Mrd. Euro in Pfandbriefen, Anleihen und Darlehen refinanziert werden, haben deutlich mehr Freiheiten – trotz Finanzkrise.
Bislang haben die großen Versicherer mit einer merkwürdigen Schockstarre auf diese Entwicklung reagiert. Der Allianz-Führung unter Michael Diekmann, die neun Jahre lang das Mantra vom integrierten Allfinanzkonzern gesungen hat, ist seither stumm. Ihr ist nichts eingefallen, was halbwegs die Bezeichnung einer Konzernstrategie verdient hätte. Mittlerweile nehmen freche Angreifer wie HUK-Coburg und R+V dem blauen Riesen bedeutende Marktanteile ab und zeigen, wie Versicherung anders geht.
Munich Re unter Nikolaus von Bomhard hat einen hervorragenden Ruf bei den Politikern, weil das Unternehmen die Finanzkrise gut überstanden hat und machbare Umweltinitiativen anstößt. Doch die Aktie dümpelt bei 110 Euro. Das Unternehmen gibt seinen Aktionären jedes Jahr Milliarden durch Aktienrückkäufe zurück. Die nehmen sie gern und fragen sich doch, warum der Rückversicherer die Gelder nicht in seinem Kerngeschäft nutzen kann. Auch dieser Konzern verliert Marktanteile und hat dem Abrieb strategisch wenig entgegenzusetzen.
Hier liegt die eigentliche Herausforderung für die großen börsennotierten Gesellschaften. Es fehlt ein überzeugendes Versicherungsgeschäftsmodell für ihre Konzerne, das auch Anleger überzeugt.
E-Mail fromme.herbert@guj.de
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo