Nicht nur Kunden hadern mit Lebensversicherungen – auch die Anbieter
Herbert Fromme
Die Lebensversicherung lohnt sich nicht, die Lebensversicherung lohnt sich doch – seit Monaten liefern sich Verbraucherschützer und Versicherungswirtschaft ein ermüdendes Scharmützel. Die Debatte ist langweilig, weil beide Seiten einen entscheidenden Punkt nicht nennen: Die Lebensversicherung ist nicht nur für viele Kunden unattraktiv – auch den Gesellschaften selbst bringt sie immer weniger Freude. Es wird Zeit für radikale Änderungen.
Verbraucherschützer kritisieren die Kostenbelastung der Verträge – auch durch hohe Abschlussprovisionen. Sie führen zur Falschberatung, behaupten sie, und belegen das mit den katastrophalen Kündigungsquoten. Die Versicherer ihrerseits argumentieren mit der Sicherheit ihrer Angebote, den vergleichsweise hohen Zinsgarantien und dem Mangel an Alternativen.
Die niedrigen Zinsen und die Absenkung der Zinsgarantie für Neuverträge von 2,25 Prozent auf 1,75 Prozent zum Jahresanfang haben der Diskussion neue Nahrung gegeben. Dazu kommt: Unglaublich viele Kunden, die sich auf ihre private Zusatzrente freuten, sind desillusioniert und verärgert, weil sie deutlich weniger Zusatzrente erhalten als erwartet.
Doch die einfache Gleichung „Kunde leidet, weil der Versicherer reich wird“ geht nicht auf. Die Lebensversicherung war nie die wichtigste Gewinnquelle für die deutsche Assekuranz. Die Milliarden haben Allianz, Ergo und Talanx mit der Schaden- und Unfallversicherung verdient, mit der Absicherung von Autos, Gebäuden, Möbeln, privaten Haftpflicht- und Unfallrisiken – und nicht mit Lebens- und Krankenpolicen.
Die Lebensversicherung ist seit Jahrzehnten stark reguliert. Den Kunden stehen in der Regel 90 Prozent der Kapitalerträge zu, den Versicherern höchstens zehn Prozent. Die für die Unternehmen negative Vorgabe führte zu bescheidenen Gewinnen. Aber auch das Risiko war lange Jahre klein. Denn unter dem deutschen System müssen die Kunden den größeren Teil der vom Staat geforderten Eigenmittel der Lebensversicherer stellen – ein Teil der bereits verdienten und den Versicherten zustehenden Überschüsse zählt rechtlich als Eigenmittel der Versicherer.
Dass die Assekuranz trotz magerer Profite jahrzehntelang begeistert die Lebensversicherung förderte, hat zwei einfache Gründe. In dieser Sparte werden die hohen Provisionen bei Vertragsabschluss fällig, gezahlt von den neuen Kunden. Nur mit diesen Provisionsmilliarden konnten die deutschen Versicherer ihr völlig überdimensioniertes Netz von heute mehr als 260 000 registrierten Versicherungsvermittlern aufbauen. Zum Vergleich: Britische Versicherungskunden müssen weniger als 30 000 Vermittler ernähren. Der zweite Grund: Die Lebensversicherung spült Milliarden in die Kassen, die Versicherer für die Kunden langfristig anlegen. Das gibt ihnen Marktmacht in den Verhandlungen mit Banken und Fondsanbietern.
Jahrelang störte nichts diesen gemütlichen Zustand: kleines Risiko, niedriger Gewinn, ein ordentlicher Cashflow und hohe Provisionen für den Vertrieb. Doch jetzt hat die Finanzkrise die Unternehmen rüde aufgeweckt. Denn die anhaltende Niedrigzinsphase führt dazu, dass manche Versicherer nur noch mit Mühe die den Kunden garantierten Zinsen verdienen. Dazu kommen die neuen Eigenkapitalregeln Solvency II, die EU-weit eingeführt werden.
Das Ergebnis: So mancher Konzern kann schon sehr bald in die unangenehme Lage kommen, mit hohen Summen die Kapitalausstattung seiner Lebensversicherer stärken zu müssen. Plötzlich dämmert es den Herren in den Topetagen, dass die Lebensversicherung auch für die Assekuranzkonzerne gewisse Risiken birgt – und nicht nur für die Kunden.
Die schwierige Lage wird mit dem Fortgang der Finanzkrise immer prekärer. Die ersten Versicherer suchen nach Alternativen zur deutschen Lebensversicherung, bislang aber ohne wirklichen Erfolg. Das Hauptproblem: Die hohen Abschlussprovisionen sind bislang die heiligsten aller heiligen Kühe in der Versicherung.
Denn darauf bestehen die eigenen Vertreter und die externen Vertriebe wie DVAG, AWD oder MLP. Sind die Provisionen in Gefahr, drohen sie mit niedrigen Neugeschäftszahlen. Nichts fürchten deutsche Versicherungsvorstände mehr. Die negativen Begleiterscheinungen nehmen sie in Kauf: Die hohen Abschlussprovisionen führen zu einer Kultur des schnellen Geldes in den Vertrieben und machen so etwas wie die Sexreise nach Budapest für die besten Ergo-Vertreter erst möglich.
Also lässt sich die Mehrheit der Versicherungsvorstände weiter von den Vertrieben vor sich hertreiben: Diese Unternehmen werden verlieren. Gewinnen werden Gesellschaften, die transparente und flexible Vorsorgeangebote machen und dafür mit dramatisch geringeren Kostensätzen auskommen. Dazu gehören die Abschaffung der Abschlussprovisionen und die deutliche Reduzierung der Zahl von Vertriebsmitarbeitern.
Eines ist klar: Wenn die Branche das Problem nicht selbst regelt, erledigen EU und Bundesregierung das für sie. In vielen europäischen Ländern sind Abschlussprovisionen für Lebensversicherungen schon verboten. Brüssel arbeitet an entsprechenden Richtlinien. In fünf Jahren sind dann hohe Abschlussprovisionen Geschichte.
E-Mail fromme.herbert@guj.de Herbert Fromme ist Versicherungskorrespondent der FTD.
Quelle: Financial Times Deutschland
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