Von Ilse Schlingensiepen und Herbert Fromme, Köln Viele der weltweit 1200 Mitarbeiter der Gerling Globale Rückversicherung (GGR) wollen es einfach nicht glauben. „Es muss doch irgendwie weitergehen“, ist die regelmäßig zu hörende Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Unternehmens. Es geht weiter – aber wahrscheinlich für den größten Teil des GGR-Geschäfts nur noch in der Form der Abwicklung. Bis auf das Lebens-Rückversicherungsgeschäft, für das ein oder mehrere Käufer in Sicht sind, und kleine Teile des Schaden-und Unfallgeschäfts sind die Aussichten düster.
Das Unternehmen tritt nicht mehr im Markt an. Ende der vergangenen Woche entschied das GGR-Management, alle Termine mit Kunden beim Baden-Badener Rückversicherungs-Treffen abzusagen.
Der Unternehmenssprecher will die letzte Hoffnung nicht aufgeben. „Wir können auch im November noch Geschäft zeichnen.“ Dabei weiß jeder im Konzern, dass die Aufgabe der Kundengespräche in dieser Woche effektiv heißt, dass GGR zeichnungsunfähig ist.
Für Konzernchef Heinrich Focke bedeutet das einen ernsthaften Rückschlag auf dem Weg zum Verkauf des gesamten Gerling-Konzerns, den seine Großaktionäre Rolf Gerling (65,5 Prozent) und Deutsche Bank (34,5 Prozent) in die Wege geleitet haben. Offenbar will Focke die schlechte Nachricht von der Geschäftseinstellung der Rück aber nicht vor der Management-Tagung des Konzerns am Freitag verkünden.
Die Gespräche mit Interessenten für die gesamte Gerling-Gruppe – zu ihnen zählen der Versicherer HDI in Hannover, aber auch Investoren aus den USA – kommen nicht voran, solange der defizitäre Rückversicherer den Konzern belastet.
Hoffnungen machte sich Focke auf einen Deal mit der französischen Scor. In den weit fortgeschrittenen Verhandlungen hatten die Gerling-Unterhändler sehr annehmbare Bedingungen durchgesetzt. Ende September stoppten die Scor-Großaktionäre aber die Übernahme der GGR. Danach verhandelten Vorstände in London mit internationalen Investoren über die Übernahme eines Teils des Rückversicherungsgeschäfts, bisher ebenfalls erfolglos.
Die GGR hat mit einem Verlust von 583 Mio. Euro nach Steuern im Jahr 2001 maßgeblich zur Krise der Gruppe beigetragen. Das Unternehmen gehörte in den 90er Jahren zu den am schnellsten wachsenden internationalen Rückversicherern, von 2,89 Mrd. Euro 1997 verdoppelte es seine Brutto-Prämien auf 5,85 Mrd. Euro 2001 und war damit die Nummer sechs im Weltmarkt. Bei der Jagd nach Volumen war das Management unter dem im April entlassenen GGR-Chef Norbert Strohschen offenbar nicht immer wählerisch genug. Die GGR zeichnete viele Verträge mit erheblichem Spätschadenpotenzial, das jetzt an die Oberfläche kam. Auch die Übernahme des US-Rückversicherers Constitution Re im Jahr 1998 erscheint im Nachhinein als Fehler.
Dazu kamen Großschäden. Allein der Terrorüberfall auf das World Trade Center kostete die GGR brutto, also vor Erstattungen durch andere Rückversicherer, 707 Mio. Euro und netto (für eigene Rechnung) 315 Mio. Euro. Lipobay schlug netto mit 23 Mio. Euro zu Buche, Enron mit 20 Mio. Euro, die Explosion der Total Elf Raffinerie in Toulouse mit 15 Mio. Euro. Bei den Altlasten der GGR ragten 2001 besonders das so genannte Programmgeschäft mit 157 Mio. Euro Belastung und Asbestschäden in Höhe von 38 Mio. Euro heraus, beides bei den US-Töchtern.
Nach dem hohen Verlust 2001 wurden Anfang 2002 weitere schwarze Löcher entdeckt. Insgesamt mussten die beiden Aktionäre 810 Mio. Eurofrisches Geld einschießen. Rolf Gerling konnte sich nicht an allen Kapitalerhöhungen entsprechend seines Anteils beteiligen. Im Gegenzug für die Hilfe der Deutschen Bank musste er widerstrebend dem Verkauf des Konzerns zustimmen. Das hatte die Bank schon lange gefor-dert, um ihren schwer zu verkaufenden Minderheitsanteil endlich loszuwerden.
Die GGR besteht seit 1954. Von ihren Prämieneinnahmen stammen 15 Prozent von anderen Gerling-Gesellschaften, der Rest aus dem Weltmarkt. Das deutlich lukrativere Lebens-Rückgeschäft macht 24,2 Prozent aus. Dafür interessiert sich unter anderem die Hannover Rück, die zum HDI gehört.
Die Aufgabe des Neugeschäfts bedeutet für Großkunden der GGR, dass sie sich neue Rückversicherungsverbindungen suchen müssen – und mit Gerling über die Abwicklung ihrer Guthaben, vor allem aus der Autoversicherung, verhandeln müssen. Größter Kunde war die DEVK in Köln mit 132 Mio. Euro Prämienzahlung in 2001, gefolgt von der MLP Leben mit 75 Mio. Euro und der R+V-Gruppe mit 70 Mio. Euro.
Zitat:
„Wir können auch im November noch zeichnen“ – Gerling-Sprecher
Quelle: Financial Times Deutschland
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