ARTIKELFOLGE: LEBENSVERSICHERUNGEN IN DER KRISE / TEIL 2 / In den letzten Wochen haben fast alle Lebensversicherer ihre Überschussbeteiligungen gesenkt. Aber nach Ansicht von Experten verspricht die Branche ihren Kunden immer noch zu viel. Die Krise geht weiter.
Die magische Zahl ist die Fünf. Ende November hat die Allianz Leben ihre Überschussbeteiligung von 6,8 Prozent auf 5,3 Prozent gesenkt und damit die Messlatte für die Branche gelegt. Wer als Lebensversicherer etwas auf sich hält, wird versuchen, nicht unter fünf Prozent zu fallen. Dieser Satz ist noch immer viel zu hoch, meint der Versicherungsexperte Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendienstes Map-Report. Die Versicherer können auch die fünf Prozent kaum verdienen. „Die Branche hat ihre Lektion noch nicht gelernt“, sagt er.
Die Überschussbeteiligung ist das wichtigste Instrument der Versicherer im Kampf um Neukunden. Mit ihr erhält der Kunde einen Teil der Rendite, die das Unternehmen mit den eingenommenen Prämien erwirtschaftet. Den Zinssatz berechnen die Versicherer aus einer bei Vertragsabschluss für die Laufzeit der Police garantierten Mindestverzinsung (zur Zeit 3,25 Prozent) und der zusätzlichen Gewinnbeteiligung, die sie jeweils im Herbst für das kommende Jahr festlegen.
Wie hoch die zusätzliche Gewinnbeteiligung ausfällt, sollte vor allem von der Entwicklung der Kapitalerträge abhängen. Tatsächlich wird die Entscheidung oft unter Marketinggesichtspunkten getroffen.
Das hat Geschichte. Bis 1994 waren die Versicherer staatlich reguliert – Preise und Bedingungen mussten genehmigt werden, Erträge waren garantiert. In der Zeit gewannen in den meisten Unternehmen die Vertriebe die Oberhand. Wenn der Gewinn sicher ist, bedeutet mehr Volumen automatisch mehr Gewinn – und Einkommen für die Vertriebe. Die hoch verprovisionierten Lebensversicherungen sind der entscheidende Bestandteil des Einkommens der Vertreter. Nach der Liberalisierung versuchten die Unternehmen ab 1995, genau so weiter zu machen und hohe Volumen an Neugeschäft einzufahren. Trotz sinkender Zinsen hielten sie deshalb die Überschussbeteiligungen hoch – auch getrieben von Verbraucherschützern und Vergleichen in Zeitschriften, die vor allem auf die Gewinnbeteiligung abhoben. Die Differenz von Zinseinnahmen und versprochenen Gutschriften, so das Kalkül der Versicherer, sollte aus den boomenden Aktienmärkten kommen. In die Kapitalverwaltungsabteilungen vieler Versicherer zogen junge, aktienbegeisterte Leute aus Investmenthäusern ein, die nur eine Börsenrichtung kannten und kennen wollten: aufwärts. „Die haben das Platzen der Blase nicht gehört“, sagt Poweleit.
Die Versicherer, die sich nicht vom Börsenfieber anstecken ließen, stehen heute besser da. Die Koblenzer Debeka ist eine der wenigen Gesellschaften, die sich nicht vom Börsenboom beeindrucken ließ. Sie hält an einer Überschussbeteiligung von 6,8 Prozent fest. Aber auch der Debeka machen das anhaltend niedrige Zinsniveau, der schwache Immobilienmarkt und das schlechte wirtschaftliche Umfeld zu schaffen. Die Anfang der 90er Jahre gekauften Anleihen mit hohen Verzinsungen von sieben oder acht Prozent laufen jetzt aus.
Schon 2001 hätten die Versicherer merken müssen, dass der Boden unter ihnen zu schwanken begann. Zwar haben sie im vergangenen Jahr die Überschussbeteiligung gesenkt, aber nur auf durchschnittliche 6,2 Prozent. „Das war weltfremd“, findet Poweleit. „Sie hätten schon vergangenes Jahr auf fünf Prozent gehen müssen.“ Aber vielen steht vor Augen, wie es den wenigen Gesellschaften erging, die wie die Hannoversche Leben schon im vergangenen Jahr auf fünf Prozent reduzieren mussten. Sie bezogen öffentliche Prügel, das schadet dem Neugeschäft.
Internationale Versicherungsanalysten zweifeln am ganzen Geschäftsmodell. „Deutsche Lebensversicherer zahlen zu hohe Überschussbeteiligungen und Provisionen“, glaubt William Hawkins von der Londoner Investmentbank Fox-Pitt Kelton. Vor allem die garantierten Gutschriften an die Kunden machen ihnen Sorgen: In Japan sind schon sieben Lebensversicherer im Konkurs, weil sie die versprochenen drei bis vier Prozent wegen der Niedrigzinsphase nicht erwirtschaften.
Nach Poweleits Auffassung müssten die deutschen Versicherer die Überschussbeteiligung auf das Minimum senken, Verluste auf Aktien ordentlich abschreiben und nicht verstecken und aufhören zu zocken.
Sonst könnte es ihnen gehen wie der Detmolder Familienfürsorge, dem ersten Opfer der Krise. Ihr Bestand ist auf die HUK-Coburg übergegangen. Poweleit ist sicher: „Die Familienfürsorge war erst die Ouvertüre, im Frühjahr folgt die Tragödie.“
Nächsten Mittwoch lesen Sie, wie die Wirtschaftsprüfer und die Finanzaufsicht BAFin mit der Krise der
Lebensversicherung umgehen.
Bild(er):
Viele Lebensversicherer haben ihr letztes Sparschwein geschlachtet – Ute Grabowsky; FTD-Montage.
Anja Krüger und Herbert Fromme
Quelle: Financial Times Deutschland
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