Alles auf die falsche Karte

Mit Aktiengewinnen wollte Vorstandschef Hans Schreiber den Strategiewechsel der Mannheimer AG finanzieren – und hat den Versicherungskonzern damit an den Rand des Abgrunds manövriert

Von Herbert Fromme Nein, nicht die mit dem Herrn Kaiser. Der ist von der Hamburg-Mannheimer. Die sind wesentlich größer als die Mannheimer AG, auch wenn beide in Versicherungen machen. „Nicht zu verwechseln“ lautet trotzig die Werbung der Mannheimer AG, die von der Größe her bei Deutschlands Versicherungskonzernen ungefähr auf Rang 40 rangiert.

Auf Rang eins liegt die Mannheimer AG hingegen in der Kategorie Gefährdung. Das unabhängige Unternehmen steht vor dem Aus. Nur wenn sich der Aktienmarkt erholt oder die Kapitalbasis des Konzerns gestärkt wird, heißt es im Geschäftsbericht, könne das Unternehmen weiter existieren. Da die Märkte weiter dümpeln, soll ein Investor die Kapitalbasis stärken – oder die bestehenden Aktionäre zahlen. Ob „Teilverkauf, Verkauf, Fusion oder Kapitalerhöhung“: Vorstandschef Hans Schreiber hat nur noch wenig Zeit, eine dieser Optionen umzusetzen.

Ein Käufer bekäme einen mittelgroßen Konzern, der mächtig expandieren wollte – und sich dabei mächtig verspekulierte. Mannheimer-Chef Schreiber wollte Mitte der 90er Jahre groß ins Geschäft mit Lebensversicherungen und Krankenversicherungen einsteigen, und setzte dabei auf Aktien. Zuvor hatte sich das Haus als Transport-und Industrieversicherer profiliert.

Der strategische Schwenk war riskant, das wusste Schreiber, seit 1987 im Amt. Um gegen die etablierte Konkurrenz mithalten zu können, musste der Angreifer ähnlich hohe Zinsversprechen wie die Marktführer mit ihren alten Aktienbeständen machen. Mit Staatsanleihen und anderen festverzinslichen Papieren, deren Zinsen kontinuierlich fielen, ließ sich das nicht verdienen. Schreiber versuchte, das Geld ebenfalls aus Aktiengewinnen zu holen. Er hob die Aktienquote an den Kapitalanlagen von 12,4 Prozent 1996 auf über 20 Prozent im Jahr 2000 an. Anders als Allianz und andere musste er im teuren Markt kaufen – und wurde so von der Börsenkrise besonders getroffen.

Die Börsenkrise hat den Konzern jetzt in die Knie gezwungen. Im vergangenen Jahr musste die Muttergesellschaft dem Lebensversicherer 90 Mio. Euro an frischem Geld überweisen. In diesem Jahr wird in der Sparte – stagnierender Dax und identische Abschreibungsregeln vorausgesetzt – „ein negatives Ergebnis von 250 Mio. Euro“ erwartet, heißt es im Geschäftsbericht. Der Vorstand zieht die Notbremse: Das Neugeschäft in der Kapitallebensversicherung ist eingestellt, Kunden erhalten nur noch den Mindestzins.

Die Probleme der Mannheimer AG sind weder neu noch unbekannt. „An den Gerüchten ist nichts dran“, musste Mannheimer-Chef Schreiber noch im August 2002 in einem Interview insistieren. Umso überraschter zeigten sich Finanzanalysten, als das Unternehmen einen Monat später in den MDax aufstieg. Dass es dort wenig verloren hatte, machte die Rating-Agentur Standard & Poor’s im Dezember 2002 auf ihre Weise klar: Sie senkte ihr Rating von „BBB“ auf „B“. Das bedeutet: Es gibt nur eine „geringe Sicherung von Zins und Tilgung“. Ein deutliches Misstrauensvotum. Derzeit verfügt die Mannheimer Leben bei Standard & Poor’s über ein Rating von „B“, die Mannheimer Versicherung über „BB“. Ob das Käufer überzeugt? Bislang hat Schreiber trotz mittlerweile monatelanger Suche keinen Investor nennen können. Die österreichische Uniqa, größter Aktionär mit 13 Prozent, war interessiert, winkte aber nach einer intensiven Debatte im Wiener Management ab.

Jetzt gibt es die letzte Gesprächsrunde, in die auch die Münchener Rück und die Finanzaufsicht BaFin eingeschaltet sind. Gibt es hier keine Lösung und kommt es nicht zu einer kräftigen Kapitalerhöhung, muss die Finanzaufsicht den Vorstand der Mannheimer Leben entmachten und einen Beauftragten einsetzen. Nächster Schritt wäre die Übergabe der Not leidenden Verträge an die Auffanggesellschaft der Branche, die dafür gegründete Protektor.

Auf einen solchen Tag, an dem sich Hans Schreiber kleinlaut zeigen muss, warten viele in der Branche. Zahllosen Leuten ist der bullige Bayer, mittlerweile 60 Jahre alt, auf die Füße getreten – und die haben das nicht vergessen. Berühmt geworden ist der studierte Psychologe für seine Attacke auf seinen früheren Arbeitgeber Allianz, als der Marktführer 1990 die Staatliche Versicherung der DDR übernahm. 1994 griff Schreiber auf der Mitgliederversammlung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft die so genannten Strukturvertriebe scharf an – und die Versicherer, die über diese Vertriebe wie OVB, AWD oder DVAG verkaufen, gleich mit. Seine eigenen Verbindungen zum Vertrieb MLP übersah er dabei geflissentlich. Gleichgültig zu welchem Thema – Schreiber hat nie ein Blatt vor den Mund genommen.

Das konnte er sich lange Jahre auch leisten. Obwohl er die Rolle als Barkeeper in der Mannheimer-eigenen Kneipe genauso gut spielt wie den knallharten Verhandler bei nächtelangen Tarifsitzungen – Schreiber ist Chef des Arbeitgeberverbands der Versicherer -, ist er kein Showman.

Der Umbau von einem Transport-und Industrieversicherer mit äußerst knappen Margen zum Personenversicherer mit deutlich besserer Zukunft war sein Werk – das nach außen hin auch gelang. Seit 1994 schreibt die Mannheimer mehr Geschäft im lukrativeren Privatkundengeschäft als mit Industrie und Gewerbe.

Aber trotz aller Erfolge hatte Schreiber offenbar entscheidende Fehler gemacht. Der erste war der Ausbau des Aktienbestands an den Kapitalanlagen. Der 2000 einsetzende Crash machte die Strategie zunichte. Jetzt muss der Konzern 138 Mio. Euro auf Aktien abschreiben und hat weitere stille Lasten von 232 Mio. Euro, die in diesem Jahr verdaut werden müssen.

Andere Versicherer haben sich ähnlich verspekuliert, aber trotzdem kommen nicht alle in dieselben Schwierigkeiten, in denen Hans Schreiber heute ist. Das liegt an einem weiteren Fehler, den der Mannheimer-Boss begangen hat. Weil sie als Transportversicherer eine wichtige Nische bediente, hatte die Mannheimer traditionell eine Reihe Versicherer und Rückversicherer als Aktionäre. Deren Interesse an dem kleinen Versicherer war strategischer Natur. Als die Mannheimer dieses Geschäftsfeld verließ, wären einige der Eigner wohl auch gegangen – wenn Schreiber sie nicht mit relativ hohen Dividenden und nur mäßigen Kapitalerhöhungen gehalten hätte.

Neben der Uniqa sind die Hauptaktionäre die Münchener Rück mit zehn Prozent und sechs weitere Versicherer und Rückversicherer, jeweils mit weniger als fünf Prozent.

Der Mannheimer-Chef tat alles, was seiner Ansicht nach nötig war, um die Unabhängigkeit des Versicherers zu erhalten – dazu gehörte auch, dass er die Aktionäre nicht rechtzeitig um frisches Geld bat. Jetzt könnte es zu spät sein.

Der passionierte Jäger und Golfspieler Hans Schreiber wird sich schwer tun, sich zu freuen – über mehr Zeit für seine Hobbies.

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Raus aus der Nische wollte Hans Schreiber die Mannheimer AG führen – vielleicht hat er sie ins Nichts geführt – Mannheimer Versicherung AG.

Quelle: Financial Times Deutschland

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