Wenn ein Lebensversicherer keine neuen Kunden mehr annimmt, hat diesweitreichende Folgen auch für bestehende Verträge
VON Herbert Fromme
Die Nachricht schlug hohe Wellen: Der zur Munich Re gehörende Ergo-Konzern gab am 20. November die jahrelang hochgehaltene Treue zur Strategie der vier Marken über Nacht auf. Eine Konsequenz: Die Victoria Lebensversicherung mit 1,5 Millionen Kunden wird künftig kein Neugeschäft mehr annehmen – mit weitreichenden Konsequenzen auch für die bestehenden Kundenverträge. Alle Ergo-Vertriebe verkaufen ab 2010 Verträge der Hamburg-Mannheimer, die dafür in Ergo Lebensversicherung umbenannt wird.
Die Victoria Leben war Anfang des Jahrzehnts heftig von der Aktienkrise gebeutelt worden. Von diesem Schlag erholte sich die Gesellschaft bis heute nicht. Mit ihrer Überschussbeteiligung von 3,6 Prozent ist sie kaum wettbewerbsfähig. Der Durchschnitt im Markt beträgt 4,29 Prozent, bei der Schwester Hamburg-Mannheimer sind es 4,20 Prozent. „Die Victoria Leben hat in den elf Jahren von 1997 bis 2008 ihren Aktionären keinen Gewinn eingebracht“, lautet das vernichtende Urteil von Michael Huttner, Versicherungsanalyst bei JP Morgan. Die Schließung macht aus Aktionärssicht also Sinn – und aus Kundensicht?
Zunächst einmal könnte sie positive Auswirkungen haben, glaubt Reiner Will, Chef der Kölner Ratingagentur Assekurata. Frische Abschlusskosten für die Neukundengewinnung fallen nicht an, stattdessen fließen vorfinanzierte Abschlusskosten an die Gesellschaft zurück. Das könnte jedenfalls theoretisch zu einer Erhöhung der Überschussbeteiligung führen. Ob Ergo das zulässt, ist eine andere Frage – es gäbe nach Ansicht von Branchenkennern genügend Mittel, um solche Überschüsse auch wieder abzusaugen. Verwaltungskosten oder Beratungsgebühren sind probate Mittel.
Generell kann kein Victoria-Leben-Kunde erwarten, dass die magere Überschussbeteiligung erheblich ansteigt. Dafür ist die Basis durch die Einschläge von 2002 und 2003 zu sehr geschwächt.
Allergisch reagieren Ergo-Vorstände auf das Wort „Run-off“. Run-off heißt Abwicklung. In angelsächsischen Ländern sind der Verkauf von Beständen und die Abwicklung durch Dritte viel verbreiteter als in Deutschland. In der Regel zahlt der neue Eigner den Kunden dann nur die Garantien oder das gesetzlich Vorgeschriebene und streicht alle freiwilligen Leistungen – schließlich muss er sich nicht um den schlechten Ruf scheren, weil er kein Neugeschäft sucht.
So werde Ergo nicht vorgehen, sagte ein Sprecher. „Das sind auch in anderen Sparten unsere Kunden, wir werden sie natürlich nicht in irgendeiner Weise schlecht behandeln.“ Ob technisch gesehen ein Run-off oder nicht – entscheidend ist, dass Ergo das Unternehmen wie bisher behandeln will, mit allen Schwächen wie der schlechten Überschussbeteiligung und allen Stärken wie der Zugehörigkeit zu einem großen Konzern.
Die Abwicklung allein sollte kein Grund sein, die Policen zu kündigen – es sei denn, die Verträge sind frisch und könnten ohne Verluste bei einer anderen Gesellschaft platziert werden.
Probleme könnten die Kunden der künftigen Ergo Leben, der heutigen Hamburg-Mannheimer, bekommen. Denn der Wegfall der Abschlusskosten, der den Victoria-Kunden nutzt, trifft die Hamburg-Mannheimer-Altkunden in negativer Weise. Der Bestand muss künftig ein deutlich größeres Neugeschäft vorfinanzieren als bisher. Noch hat Ergo nicht mitgeteilt, wie das gelöst werden soll.
Der größte Abwicklungsfall in Deutschland war bislang die Mannheimer Lebensversicherung, deren Bestände 2003 an die Auffanggesellschaft Protektor gingen. Protektor wickelt seither das Geschäft ab und hatte Ende 2008 noch 180 000 Verträge im Bestand. Mit 3,7 Prozent fällt die Überschussbeteiligung nicht unbedingt katastrophal aus, doch erhalten Kunden keinen Schlussgewinnanteil.
Sehr lohnend kann eine Schließung für Kunden einer besonderen Art Lebensversicherung sein. Die Axa musste Anfang 2009 zwei Twinstar-Angebote für Neukunden schließen, weil die Garantien für diese sogenannten Variable Annuities angesichts der Krise für Axa zu teuer wurden. Für die bestehenden Kunden allerdings waren und sind sie ein gutes Geschäft – solche Garantien bietet ihnen kein Versicherer mehr. „Wir werden mit den bestehenden Verträgen dieser Twinstar-Tarife wahrscheinlich niemals Geld verdienen“, bedauert Axa-Vorstand Thomas Gerber. Für seine Kunden eine gute Nachricht.
Quelle: Financial Times Deutschland
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