Der Versicherer hat Policen lange zu billig angeboten und nun ein tiefes Lochin den Büchern. Ähnliches droht der Konkurrenz
Anne-Christin Gröger
Der Versicherer Zurich hat eine Lücke in den Schadenrückstellungen für die Haftpflichtversicherung gefunden. Das Unternehmen geht nach Angaben vom Mittwoch davon aus, dass die Reserven um 550 Mio. Dollar (423 Mio. Euro) zu niedrig sind. Die entsprechende Aufstockung wird das Ergebnis des dritten Quartals nach Steuern mit 298 Mio. Euro belasten.
Genaue Zahlen will Zurich am 15. November nennen. „Zurichs Führung ist enttäuscht über diese signifikante finanzielle Anpassung und hat in Deutschland die entsprechend notwendigen Maßnahmen eingeleitet“, heißt es in einer Konzernmitteilung. Die übrigen Geschäftsbereiche hätten sich im dritten Quartal wie erwartet entwickelt, so der Versicherer.
Die Experten des Konzerns haben in den vergangenen Monaten die Bücher und die Schadenmeldungen der deutschen Niederlassung durchkämmt. Das Ergebnis: Zurich hat jahrelang sehr aggressiv Berufshaftpflichtversicherungen angeboten und dabei Krankenhäuser zu Dumpingpreisen versichert. Die deutschen Manager gingen aber von Schadenerwartungen aus, die sich jetzt als unrealistisch niedrig erweisen haben. Die Folge: Die Reserven sind zu gering. Das hat die Schweizer nun eingeholt.
Und Zurich dürfte nicht der einzige Versicherer sein, der Probleme mit der Haftpflichtsparte hat. Der heftige Konkurrenzkampf der vergangenen Jahre hinterlässt seine Spuren. Dazu kommen deutlich höhere Schäden und eine Rechtsprechung, die immer öfter zuungunsten der Assekuranz ausfällt.
Zurich ist nun verpflichtet gegenzusteuern. Jetzt muss der Versicherer die Reserven in der Haftpflichtsparte erhöhen und einen Teil der Abschlusskosten abschreiben. In den vergangenen zwei Jahren sowie im ersten Quartal 2012 hat der Versicherer bereits 475 Mio. Dollar für die Fälle zurückgestellt, insgesamt sind es jetzt 1,03 Mrd. Dollar
Eine erste Ahnung hatte die Konzernspitze in Zurich schon 2011 gehabt. Damals sorgten die Schweizer dafür, dass Zurich Deutschland die Preise für bestehende Verträge drastisch erhöhte und kein Neugeschäft mehr über Makler annahm. Deutschland-Chef Eduard Thometzek musste das Unternehmen verlassen.
Die Haftpflichtversicherung ist die Königssparte der Industrie- und Gewerbeversicherung. Die Anbieter übernehmen sehr langfristige Risiken, die oft über Jahrzehnte abgedeckt werden. Das gilt beispielsweise für Pharmarisiken oder Ärzte, die Geburtshilfe leisten – und bei Behinderungen des Kindes auch Jahre später noch belangt werden können.
Naturkatastrophen wie ein schwerer Hurrikan, Überschwemmungen oder Großfeuer kosten Versicherer in einem einzelnen Jahr den Gewinn, sind aber in der Regel einkalkuliert. Haftpflichtdeckungen hingegen können für die Anbieter wirklich existenzbedrohend sein.
Die Sparte ist trotzdem attraktiv, weil die Versicherer die systembedingt hohen Schadenreserven langfristig anlegen können und damit Kapitalerträge generieren. Doch wenn sie sich bei den Reserven verrechnen, drohen hohe Verluste – wie jetzt bei Zurich. Der Versicherer hatte jahrelang einen hohen Marktanteil in der Absicherung von Architekten und Bauingenieuren, vor allem über den Spezialmakler Unit. Der hatte gute Kontakte bei Verbänden und Kammern und vermittelte das Geschäft als Gruppenverträge an Zurich. Unit wurde 2006 vom Großmakler Aon übernommen. Damals änderte sich nichts, und Zurich übernahm die Risiken zu Bedingungen, die weitgehend vom Makler vorgegeben wurden. Experten der US-Bank JP Morgan Chase erwarten, dass die Mitteilung der Schweizer dazu führen wird, dass sich andere Versicherer ihre Rückstellungen genauer anschauen werden. „Wir glauben jedoch, dass die Übertragbarkeit auf andere Versicherer begrenzt ist“, sagte JP-Morgan-Analyst Michael Huttner. „Die Allianz hat in früheren Quartalen und bis heute keine Besorgnis über ihre langfristigen Haftpflichtverträge geäußert.“
Große Berufshaftpflichtversicherer sind neben der Allianz auch Axa, Talanx oder Gothaer für Anwälte und Architekten. Der Hannoveraner Versicherer VHV hat sich auf das Baugewerbe spezialisiert und versichert Bauingenieure.
Der Aktienkurs von Zurich ging am Mittwoch nach der Mitteilung auf Talfahrt: Er fiel zeitweise um mehr als vier Prozent. Bereits 2010 hatte das Unternehmen seine gesamten Schaden- und Unfallversicherer in der EU in einer irischen Gesellschaft zusammengefasst, in Deutschland und den anderen Märkten agieren nur noch Niederlassungen. Damit spart der Konzern erheblich Eigenkapital. In der Lebensversicherung hat Zurich diesen Schritt noch nicht vollzogen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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