Politik und Versicherungswirtschaft sprechen über Lösungswege “ Überschwemmungen werden zunehmend zur Belastung für die Assekuranz
Von Ilse Schlingensiepen Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) plädiert für die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht gegen Schäden aus Naturkatastrophen. Die neue Versicherung soll alle wesentlichen Elementarschäden umfassen, der Staat bei der Deckung von Megaschäden einspringen.
Die Erfahrungen mit dem Hochwasser im Sommer 2002 hätten das „Dilemma“ der Absicherung von Elementarschäden vor Augen geführt, erläutern die DIW-Forscher Reimund Schwarze und Gert G. Wagner. Während sich die Versicherer gezielt aus der Deckung von Elementarschäden zurückzögen, verminderten Soforthilfen und Spenden den Anreiz für die Betroffenen, das Schadensrisiko durch Schutzmaßnahmen gering zu halten. Diese Problematik könnte mit einer allgemeinen Versicherungspflicht gelöst werden, glauben sie.
Notwendig ist nach Einschätzung von Schwarze und Wagner, dass die wesentlichen Elementarschäden wie Sturm, Erdbeben und Hochwasser in einer Police gebündelt werden. Damit würden die Risiken diversifiziert, es gebe einen möglichst breiten Kreis potenziell Betroffener. „Dies steigert die Akzeptanz der neuen Versicherungsform.“ Bei Hochwasser sollten nur die „Jahrhundertschäden“ abgesichert werden.
Die Tarife müssten nach Vorstellung des DIW risikogerecht kalkuliert werden, Versicherte in extrem exponierten Lage höhere Selbstbehalte zahlen. Gleichzeitig sollen eigene Schutzanstrengungen honoriert werden. „Wählt man die Selbstbehalte so, dass dadurch sämtliche Schäden aus regelmäßig wiederkehrenden Überschwemmungen gedeckt sind, dann könnten die Prämien auch in den Hochrisikozonen weniger als 300 Euro pro Jahr für ein Einfamilienhaus betragen.“
Die Beteiligung des Staates sollte auf Extremschäden begrenzt werden. Die DIW-Forscher schätzen, dass in Deutschland für Schäden aus Naturkatastrophen eine Erst-und Rückversicherungskapazität von 6 Mrd. Euro zur Verfügung steht. Der Staat sollte erst dann einspringen, wenn die Schäden darüber hinaus gehen.
Die Versicherungswirtschaft hat sich lange gegen eine Versicherungspflicht bei Elementarschäden gesträubt. Die Flutkatastrophe des letzten Jahres hat sie aber gesprächsbereit gemacht. In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe laufen Gespräche mit der Politik zum Thema Überschwemmungen. „Die Einführung einer Versicherungspflicht ist mit verfassungsrechtlichen Problemen verbunden“, sagte ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Entscheidung über eine obligatorische Absicherung gegen Elementarschäden liege bei der Regierung. Sollte sie zu einem positiven Votum kommen, sei die Versicherungsbranche in der Lage, die entsprechenden Produkte zu entwickeln. „Dabei ist allerdings Grundvoraussetzung, dass der Staat als Rückversicherer beteiligt ist“, forderte der Sprecher.
Schon vor der Sommerflut des letzten Jahres hatte der GDV mit der Überarbeitung des Branchen-Modells zur Bestimmung von Flutrisiken begonnen. ZÜRS (Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen) sah bislang drei Risikokategorien vor: Überschwemmungen seltener als einmal alle 50 Jahre, häufiger als einmal alle 50 Jahre, aber seltener als einmal alle zehn Jahre und häufiger als einmal alle zehn Jahre. Inzwischen wurde eine vierte Kategorie eingeführt für Risiken im Deichhinterland.
Die Allianz hat im Februar die Einführung einer eigenen neuen Flutversicherung angekündigt. Sie hat ein eigenes System zur Ermittlung des individuellen Risikos jedes Versicherten ermittelt. Die neue Flutdeckung ist mit höheren Prämien und höheren Selbstbehalten verbunden.
Die Sommerflut 2002 hat den Marktführer schwer getroffen. Er registrierte 2002 allein aus den Überschwemmungen in Deutschland Schäden in Höhe von 770 Mio. Euro. Netto, also nach Zahlung der Rückversicherer, bleiben noch rund 300 Mio. Euro in ihren Büchern.
Ein neues Modell für die Versicherung von Flutschäden hat auch der Rückversicherer Swiss Re entwickelt. Es sieht den automatischen Einschluss bei Wohngebäude-und Hausratpolicen vor. Die Swiss Re teilt dafür Gebäude in sechs Risikokategorien ein. Sie bestimmen die Höhe von Prämie und Selbstbehalt.
Die Swiss Re sieht das Hochwasser als „eine wachsende Herausforderung für Versicherungswirtschaft und Staat“. Laut der neuesten Sigma-Studie wurden die Versicherer 2002 weltweit durch Überschwemmungen mit 4,1 Mrd. $ belastet, allein 3,2 Mrd. $ stammen aus den beiden Sommerfluten in Europa – der teuerste Versicherungsschaden 2002. Die volkswirtschaflichen Schäden liegen noch bedeutend höher.
Die Versicherung gegen Flutschäden sei in manchen Ländern nur wenig verbreitet, deshalb sei jetzt die Entwicklung und Einführung umfassender Überschwemmungsdeckungen gefordert, erläutert die Swiss Re. „Eine sorgfältig austarierte,Private-public-Partnership‘ könnte hier die Interessen und Möglichkeiten aller Beteiligten berücksichtigen.“
Nach den Zahlen der Swiss Re verzeichneten die Versicherer weltweit im vergangenen Jahr Schäden von 13,5 Mrd. $ durch Katastrophen, die durch die Natur oder Menschen verursacht wurden. Das ist deutlich weniger als 2001 mit Schäden von 35 Mrd. $. Damals schlugen allein die Terroranschläge vom 11. September mit 19,3 Mrd. $ zu Buche.
Zitat:
„Der Staat muss als Rückversicherer beteiligt werden“ – GDV-Sprecher
Bild(er):
Schwerer Sturmschaden im bayerischen Farchant bei Garmisch – argum/Christian Lehsten.
Quelle: Financial Times Deutschland
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